Eine hochwertige Versorgung sichern, die Vielfalt der Psychotherapie erhalten – das war und bleibt das Ziel

Heiner Vogel im Gespräch mit Ellen Bruckmayer

Unser ehemaliges Vorstandsmitglied Ellen Bruckmayer wurde anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Psychotherapeutenjournals (PTJ) vom Sprecher des Redaktionsbeirats, Prof. Dr. Heiner Vogel, um ein Interview gebeten. Hintergrund der Anfrage war, dass Ellen Bruckmayer als Vertreterin der Psychologischen Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker das Gesetzgebungsverfahren zum Psychotherapeutengesetz (PsychThG) von 1989-1999 maßgeblich mitgestaltet hat. Ferner, dass sie nach der Verabschiedung des Gesetzes die Interessen der Psychologischen Psychotherapeuten im Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (heute Gemeinsamer Bundesausschuss) mitvertreten hat wie auch bei der Integration in das System der Gesetzlichen Krankenversicherungen und bei der Gründung der Kammern der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Ihr Anliegen war es, darzustellen, dass vieles, was nach über 20 Jahren PsychThG selbstverständlich ist erst einmal erkämpft werden musste.

Dipl.-Psych. Ellen Bruckmayer    
Birkenstr. 1
82340 Feldafing
ebruckmayer(at)gmx.de

Dipl.-Psych. Ellen Bruckmayer war 1980–2018 in Feldafing niedergelassen in eigener Praxis (AP und TP für Erwachsene und Kinder & Jugendliche). Bis 2017 war sie in verschiedenen Gremien, 1989–2001 im Geschäftsführenden Vorstand der DGPT tätig. In dieser Funktion hat sie die Interessen der Psychoanalyse bei der Schaffung des PsychThG vertreten. Bei dessen Umsetzung hat sie sich im Gründungsausschuss und dann im Vorstand und in der Delegiertenversammlung (DV) der PTK Bayern engagiert sowie in der DV der Bundespsychotherapeutenkammer. Bei der Integration ins GKV-System war sie im Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen tätig sowie in verschiedenen Gremien der KBV und der KV Bayern, als Delegierte in deren Vertreterversammlungen und u. a. in deren Beratenden Fachausschüssen (BFA), in Bayern zeitweise als alternierende Vorsitzende des BFA.

Prof. Dr. Heiner Vogel
Universität Würzburg
Abteilung für Medizinische Psychologie und Psychotherapie
Klinikstr. 3, 97070 Würzburg h.vogel(at)uni-wuerzburg.de

Prof. Dr. Heiner Vogel, Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, leitet den Arbeitsbereich Medizinische Psychologie und Psychotherapie von Universität und Universitätsklinikum Würzburg. Zudem steht er der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V. vor. Er ist Mitglied des Vorstands der PTK Bayern sowie Sprecher des Ausschusses „Psychotherapie in Institutionen“ (PTI) der Bundespsychotherapeutenkammer und des Redaktionsbeirats des Psychotherapeutenjournals.

Das Interview wurde im PTJ 1/2022 veröffentlicht. Wir danken dem PTJ für freundliche Genehmigung des Abdrucks.

Heiner Vogel (PTJ): Liebe Frau Bruckmayer, Sie haben sich über viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte für das Psychotherapeutengesetz (PsychThG) eingesetzt. Können Sie sich noch erinnern, wann bzw. wie die Bemühungen losgingen?

Ellen Bruckmayer: Natürlich, recht gut. Unser Anliegen war, dass sich nicht mehr jedermann „Psychotherapeut“ nennen darf, sondern dass die Berufsbezeichnung staatlich geschützt und an eine Ausbildung gebunden wird, dass die Psychotherapeuten ihre Interessen selbst vertreten können, gleichberechtigt mit den Ärzten, und dass die Patienten direkten Zugang haben zu uns „nichtärztlichen“ Psychotherapeuten, wie wir damals genannt wurden. Was heutzutage selbstverständlich ist, musste erst einmal erkämpft werden. Die Bemühungen um das Psychotherapeutengesetz gingen 1989 los. Die damalige Bundesgesundheitsministerin Prof. Ursula Lehr, selbst Psychologin, wollte es wieder in Gang bringen, legte 1990 Eckpunkte vor und gab nach einer Ausschreibung ein Forschungsgutachten bei Prof. Adolf E. Meyer in Auftrag. Dieses Gutachten wurde im März 1991 veröffentlicht und bestätigte eine Unter- und Fehlversorgung in der Psychotherapie und eine Fehlallokation der Mittel. Statt früh und ambulant komme es meist spät und dann meist stationär zur Behandlung. Das Schlagwort war „Chronifizierung bis zur Erwägung der Rente“. Mit der gutachterlichen Empfehlung, einen neuen Heilberuf zu schaffen, kam Schwung in die Verhandlungen.

Seitens der Verbände wurde das Gesetzgebungsverfahren unterstützt, unter anderem als die „Spiegel-AG“, die Arbeitsgemeinschaft aller Psychotherapeutenverbände, die das Forschungsgutachten begleitete, die Iserlohner Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) einstimmig übernahm. In ihr wurde die Schaffung eines Psychotherapeutengesetzes gefordert in Kombination mit einem berufs- und einem sozialrechtlichen Teil, wobei die Zusammenarbeit mit den Ärzten kooperativ, also gleichberechtigt, sein sollte.

Heiner Vogel (PTJ): Ideen für ein solches Gesetz gab es ja seit den 1970er-Jahren schon häufiger, aber es hatte nie geklappt. Die Interessen der maßgeblichen Gruppen waren offenbar zu unterschiedlich. Neben den Psycholog*innen bzw. den psychologischen Verbänden der Psychotherapeut*innen gab es ja auch noch die Krankenkassen und die Ärzteschaft als wichtige Interessensgruppen. Lassen sich deren Positionen kurz skizzieren?

Ellen Bruckmayer: Ja, das Gesetz war 1978 schon einmal gescheitert infolge der Uneinigkeit der Psychologenverbände und wegen des Widerstands von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Krankenkassen. In der Folge bestätigte das Bundessozialgericht 1979 das Ärztemonopol, und das Bundesverwaltungsgericht stellte 1983 klar, dass Psychotherapie die Ausübung von Heilkunde sei und deshalb eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz (HPG) erforderlich mache. Unter dem Druck des Behandlungsbedarfs vereinbarte der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) trotzdem 1983 die berühmte TK-Regelung und der damalige Deutsche Psychotherapeutenverband (DPTV) 1995 die Empfehlungsvereinbarung IKK/BKK.1 Diese „Erstattungspsychotherapie“ war umstritten, erstens weil dadurch de facto eine zweite Versorgungsebene geschaffen war und zweitens wegen unklarer Qualifizierungen. Aber auch im Delegationsverfahren entstand Unzufriedenheit wegen des Machtgefälles zwischen den ärztlichen und den psychologischen Psychotherapeuten, die oft beide dieselbe von der KBV anerkannte psychotherapeutische Qualifikation hatten. Die sogenannten Delegationspsychologen galten vielfach als „Heilhilfspersonen“ der Ärzte; sie durften ihre Anträge nicht selbst an die Kassen richten und hatten nicht einmal ein eigenständiges Widerspruchs- und Klagerecht gegen ihre Honorarbescheide, waren also völlig von den Delegationsärzten abhängig. Und nicht zuletzt stieß das Erfordernis der HPG-Erlaubnis auf allgemeinen Widerstand. Und das umso mehr, als in der ehemaligen DDR schon 1981 der „Fachpsychologe für Medizin“ geschaffen und heilberuflich den Ärzten gleichgestellt worden war.

Später, als das PsychThG Formen annahm, wehrten sich die Krankenkassen aus Kostengründen dagegen, die Erstattungspsychologen mitaufzunehmen. Deshalb vereinbarten alle Verbände im September 1997 eine „Gemeinsame Erklärung“ zur Kostenneutralität, wonach außer den schon im GKV-System zugelassenen Delegationspsychotherapeuten nur diejenigen Psychotherapeuten per Übergangsregelung in die Versorgung (= bedarfsunabhängige Zulassung als Vertragspsychotherapeut*in; Anm. d. Red.) kommen sollten, die schon seit Jahren in versorgungsrelevantem Umfang zu Lasten der GKV tätig gewesen waren. Das wurde so von Kassen, KBV und Politik akzeptiert.

Heiner Vogel (PTJ): Aber auch innerhalb der Verbände der Psychotherapeut*innen gab es ja sehr unterschiedliche Interessen – welchen Einfluss hatte dies auf die politische Vertretung?

Ellen Bruckmayer: Von Anfang an bestand Dissens darüber, ob es ein Psychologengesetz oder ein Psychotherapeutengesetz geben solle. Die Auseinandersetzungen drehten sich im weiteren Verlauf einerseits hauptsächlich um die Qualität der Ausbildung, um Richtlinien-Niveau vs. abgesenkte Standards, andererseits um die sozialrechtliche Eingliederung. Manche Verbände forderten ein eigenes Abrechnungssystem, die Richtlinienpsychotherapeuten forderten die Eingliederung ins bestehende ärztliche System, in die KVen. Später ging es auch um die Organisation z. B. des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) forderte das Bestimmungsrecht über die Psychotherapie für sich unter Ausschluss der Bundesärztekammer. Bekanntlich wurde die Besetzung paritätisch gelöst. Bei allen Kontroversen waren wir Verbandsvertreter immer bemüht, nach außen unser Hauptziel zu vertreten: das Gesetz nicht scheitern zu lassen.

Heiner Vogel (PTJ): Sie selbst nahmen an diesen vielen Diskussionen und Besprechungen als Psychoanalytikerin und Vertreterin der DGPT teil, also eines Verbandes, in dem die enge und kollegiale Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Psycholog*innen eine lange Tradition hat. Wie hat das Ihr Engagement beeinflusst?

Ellen Bruckmayer: Das war selbstverständlich einerseits nicht unproblematisch, andererseits waren wir immer wieder gezwungen, uns verbandsintern zu einigen. Die Diskussionsprozesse in der DGPT dauerten natürlich oft viel länger als die Einigungsprozesse in den rein psychologischen Verbänden, aber sie hatten auch Auswirkung auf die gesamte Ärzteschaft und auf die KBV. Das war wichtig, denn gegen deren Willen hätte Minister Seehofer überhaupt nichts gemacht. Ich selbst befand mich damit stets in zwei Spannungsfeldern, einerseits zwischen Delegationspsychotherapeuten und denjenigen Psychotherapeuten, die in der Kostenerstattung tätig waren, andererseits zwischen Ärzten und psychologisch ausgerichteten Psychotherapeuten. Mein Ziel war immer die Einigung auf einen Kompromiss, mit dem alle leben konnten. In meinem Verband war ich als Vertreterin der psychologischen Psychoanalytiker stets bemüht, auch die Anliegen der ärztlichen Kollegen mit zu bedenken. Dabei wurde mir oft von den Ärzten vorgeworfen, ich würde nur psychologische Interessen vertreten, und von den psychologischen Kollegen, ich würde nur ärztliche Interessen vertreten. Dann wusste ich, dass ich eine gute Mitte fuhr im Ausbalancieren der unterschiedlichen Interessensgruppen.

Heiner Vogel (PTJ): Wie und wie weit gelang es schließlich, die Interessen der Verbände der späteren Psychologischen Psychotherapeut*innen und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen zu koordinieren?

Ellen Bruckmayer: Das war schwierig. Im Dezember 1996 kam es erst einmal wegen der Meinungsunterschiede bzgl. des damals sogenannten Integrationsmodells zum Bruch. In einer Sitzung in München, bei der ich zufällig den Vorsitz hatte, zog die AGPT (Arbeitsgemeinschaft Psychotherapie), die Vertretung der Erstattungspsychotherapeuten und der Hochschullehrer, aus dem Gesprächskreis aus. Nachdem das Gesetz nicht nur 1978, sondern auch schon 1994 gescheitert war, waren wir in großer Sorge, dass die Uneinigkeit der Verbände erneut einem erfolgreichen Zustandekommen im Wege stehen könnte. Aber der Druck, das Gesetz voranzubringen, war umso größer als die vertraglich geregelte Kostenerstattung (TK-Regelung und Erstattungsvereinbarung IKK/BKK, s. o.) gut einen Monat zuvor gerichtlich gekippt worden war, die Versorgungsmängel aber eklatant waren. Minister Seehofer war entschlossen und verhandelte weiter mit der „Koalition der Konsensfähigen“, wie er es nannte, d. h. mit dem Bundesgesundheitsministerium, der Arbeitsgemeinschaft der Richtlinienverbände (AGR) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV); mit Letzterer, weil auch er keine Zersplitterung des KV-Systems, sondern die Integration wollte. Seitens der Verbände vereinbarten AGR und AGPT, zukünftige Sitzungen zwar getrennt durchzuführen, aber zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Man sprach wieder miteinander, es kam zur Annäherung und im August 1997 zu einem „Konsenspapier“ zu allen wesentlichen Punkten des Gesetzes.

Heiner Vogel (PTJ): Da gab es sicher viele komplizierte und auch belastende Sitzungen, Beratungen, Abstimmungen etc. – was gab Ihnen den Mut und die Kraft, sich da immer wieder bzw. kontinuierlich einzubringen?

Ellen Bruckmayer: Ja, belastend war es auch. Leider gab es außer den inhaltlichen Auseinandersetzungen von beiden Seiten, sowohl von Seiten der Erstattungspsychologen als auch von Seiten der Ärzteschaft, Bemühungen, mich aus dem Verkehr zu ziehen, was aber nicht gelang. Wenn ich an Aufgeben dachte, stärkte mich der Gedanke: „Das wollen die ja nur erreichen!“ Aus dem engeren Kollegenkreis wurde ich natürlich immer wieder ermutigt, durchzuhalten. Und außerdem gaben mir mein Wunsch, durch Kompromisse den Beruf des Psychotherapeuten als eigenständigen Beruf zu schaffen und die Behandlung psychisch erkrankter Menschen gesetzlich, ausbildungsmäßig und finanziell auf gesicherte Beine zu stellen, immer wieder Kraft und Zuversicht. Auch lernte ich bald, Vertretungsinteressen von persönlicher Sympathie zu unterscheiden. Die Erkenntnis, dass die Repräsentanten der Gegenparteien ebenso die Interessen ihrer Mitgliedschaft vertreten und vertreten müssen wie ich, machte es mir immer wieder leicht, trotz Meinungsverschiedenheiten weiter zu verhandeln. Außerdem gaben mir meine Familie und mein Freundeskreis stets Kraft und Rückhalt.

Heiner Vogel (PTJ): Wer waren denn in diesen Jahren die maßgeblichen Ansprechpartner*innen in „der Politik“ und wie lassen sich die Erfahrungen, die Sie in diesen Abläufen gesammelt haben, zusammenfassen?

Ellen Bruckmayer: Außer Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer waren im BMG hauptsächlich Herr Dr. Wanner, sowie später Frau Neumann, und fürs Leistungsrecht Frau Herweck-Behnsen zuständig, für die SPD Horst Schmidbauer, für die CDU Herr Dr. Hoffacker und last, but not least Herr Dr. Thomae von der FDP. Vertreter der KBV waren die Herren Dr. Hess und Dr. Schorre. Alle waren sehr zuverlässige Gesprächspartner, kompetent, sachlich und an einer Einigung interessiert.

Heiner Vogel (PTJ): Können Sie einige positive Erlebnisse oder Erfahrungen aus diesen Jahren und diesen mühsamen Prozessen berichten?

Ellen Bruckmayer: Herr Dr. Wanner hat mit unendlicher Geduld, Kompetenz und einem immer offenen Ohr sowohl das PsychThG nochmal und nochmal aktualisiert als auch später zusammen mit Frau Neumann in unspektakulärer Weise und zügig die beiden Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen verfasst. Dr. Thomae war damals Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag und ermutigte uns oft, nicht aufzugeben und, wenn unverhandelbare Positionen blockierten, notfalls die eine oder andere Kröte zu schlucken: „Hauptsache, Sie haben das Gesetz. Novellieren können Sie es immer noch.“ Unvergessen auch die Verlässlichkeit von Horst Schmidbauer. Als PsychThG und Zuzahlungsgesetz im Bundestag beschlossen wurden, versprach er, letzteres wieder zu kippen, wenn die SPD nach den Wahlen an der Macht ist. Und er hat Wort gehalten!

Beeindruckend war für mich zudem, wie weitsichtig sich Herr Dr. Hess für die Integration der Psychotherapeuten ins KV-System eingesetzt hat. Er wollte „nicht den ersten Stein aus der Mauer brechen“, d. h. eine Zersplitterung der KVen verhindern. Die Sitzung, in der dieses Zitat fiel, war der Durchbruch zum Integrationsmodell. Sehr beeindruckend auch, wie wohlwollend Herr Dr. Schorre in der KBV für die Integration gekämpft hat – gegen den Widerstand vieler Ärzte, die fürchteten, von den Psychologischen Psychotherapeuten überrollt zu werden, und denen es widerstrebte, ihre bisherige Monopolstellung zu verlieren. Dass ein zweiter Berufsstand von „Nichtärzten“ den Ärzten gleichgestellt werden sollte, war eine Revolution, aber die Herren Dr. Hess und Dr. Schorre waren realistisch genug, zu sehen, dass es wohl so kommen würde und dass es nun vorrangig darum ging, die Probleme möglichst konstruktiv zu lösen. Auch als deutlich wurde, dass das Finanzvolumen für den Bereich Psychotherapie viel zu klein bemessen war und die Ärzte sich verständlicherweise gegen den Mehraufwand auf ihre Kosten wehrten, setzten sich beide für eine Befriedung ein.

Heiner Vogel (PTJ): Über viele Jahre hinweg waren Sie auch als Vertreterin der Psychotherapeut*innen Mitglied im damaligen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gewesen. Das Gremium – inzwischen heißt es Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) – ist ja bis heute sehr umstritten, weil es zwar politische Entscheidungen trifft, aber nicht von „der Politik“, also demokratisch besetzt wird, sondern von Interessengruppen, nämlich den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Wie schätzen Sie die Rolle dieses Gremiums ein, auch in Bezug auf die Bemühungen der Psychotherapeut*innen um eine bessere Integration in die Gesundheitsversorgung?

Ellen Bruckmayer: So umstritten die Zusammensetzung und Machtfülle des Bundesausschusses auch sind, die Aufnahme von Psychotherapeuten in dieses oberste Selbstverwaltungsgremium war zwingend, damit wir unsere Interessen selbst vertreten konnten und können. Der G-BA entscheidet, welche Leistungen in den Leistungskatalog der GKV übernommen werden, also auch über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden. Und hier gab und gibt es natürlich großes Interesse an der Zulassung weiterer Verfahren über die drei hinaus, die schon vor dem PsychThG als Richtlinienverfahren anerkannt waren (Analytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sowie Verhaltenstherapie); vor allem die humanistischen Verfahren, die Neuropsychologische Psychotherapie und die Systemische Therapie suchten und fanden z. T. nach langen Bemühungen ihre Anerkennung.

Die Gestaltung des Leistungskatalogs mit seinen Richtlinien wie auch die Qualitätssicherung sind ebenfalls Sache des Bundesausschusses. Hier wurde von Anfang an schnell deutlich, dass es den Krankenkassen wesentlich um Geldeinsparung ging. Schon ganz früh wollten sie aus diesem Grund das Gutachterverfahren abschaffen. Jetzt im Rahmen der Novellierung des PsychThG wurde diese Abschaffung tatsächlich beschlossen. Der GBA wurde beauftragt, ein einrichtungsübergreifendes QS-Verfahren zu entwickeln, das inzwischen zum „bürokratischen Ungetüm“ gediehen ist mit der Gefahr einer zeitintensiv zu erhebenden Datenflut und öffentlichem Ranking. So aufwändig das Schreiben der Gutachteranträge auch ist – ich hoffe, dass viele inzwischen erkannt haben, dass es besser ist, die Notwendigkeit einer Behandlung durch Peers individuell beurteilen zu lassen als durch die Krankenkassen diagnosebezogen mit standardisierter Dokumentation von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Denn das Gutachterverfahren schützt den Rahmen der Behandlungen und sichert den Erhalt der Kontingente; außerdem hat es die Funktion einer Vorab-Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Auch die Änderungen bei der Strukturreform der ambulanten Psychotherapie machen auf mich den Eindruck, dass es nicht nur um Vereinfachung, sondern wesentlich um Kostenersparnis geht, u. a. durch die Zerstückelung und Kürzung der Kurzzeittherapien. Den Patienten wird suggeriert, schon eine geringe Gesamtstundenzahl müsste genügen; wenn sie mehr als 12 Stunden bräuchten, sei das schon ein Zuschlag. Dabei kann es gar nicht mehr um eine nachhaltige Behandlung gehen, sondern um möglichst schnelle Symptomlinderung. Natürlich wurden auch die Verweise mancher Hochschullehrer auf kostensparende manualisierte Kurzzeittherapien schon während des Gesetzgebungsverfahrens verwendet, um alles straffer und kostengünstiger zu gestalten. Auch der Honoraraufschlag auf die ersten zehn Sitzungen setzt Anreize, Psychotherapien aus ökonomischen Gründen zu verkürzen.

Heiner Vogel (PTJ): Zurück zum PsychThG: Eines der Probleme war ja, dass die Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag unterschiedlich waren (Bundesrat: Mehrheit SPD-geführte Länder; Bundesregierung: CDU/CSU-FDP) und gegenseitige Blockaden eher die Regel als die Ausnahme waren. Trotzdem konnte das PsychThG letztendlich von beiden Seiten akzeptiert werden. Wie wurde das möglich?

Ellen Bruckmayer: Herr Schmidbauer war zwar in der Opposition, aber ihm war immer schon an einer guten Versorgung psychisch kranker Menschen gelegen und damit am Zustandekommen des Gesetzes. Inhaltlich bestanden da große Schnittmengen, vor allem im berufsrechtlichen Teil, einen unüberbrückbaren Dissens gab es allerdings bis zuletzt wegen der von der Koalition geforderten Zuzahlung. Herr Schmidbauer kämpfte mit allen Kräften gegen eine Zuzahlungspflicht ausschließlich bei der Behandlung psychisch Kranker, einerseits wegen der Diskriminierung dieser Patientengruppe, andererseits aus der Befürchtung, solche Zuzahlungen könnten auch in der medizinischen Versorgung weiter eingeführt werden. Er erreichte gegen Ende – möglicherweise in Abstimmung mit Minister Seehofer – dass die Zuzahlung vom PsychThG abgekoppelt und in einem eigenen Gesetz festgeschrieben wurde. So konnte auch der Bundesrat im März 1998 dem PsychThG zustimmen bei gleichzeitiger Ablehnung des Zuzahlungsgesetzes. Zwar wurden im Bundestag beide Gesetze mit Kanzlermehrheit angenommen, aber da kurz nach dieser Abstimmung, nämlich im September 1998, bei der Bundestagswahl eine rot-grüne Parlamentsmehrheit zustande kam, konnte diese dann, wie schon erwähnt, als quasi erste Amtshandlung das Zuzahlungsgesetz annullieren, noch ehe es in Kraft getreten wäre.

Heiner Vogel (PTJ): Das Gesetz war im Jahr 1998 nach vielem Hin und Her endlich vom Bundestag auf Vorschlag der damaligen CDU/CSU-FDP-Regierung im Konsens mit dem SPD- geführten Bundesrat verabschiedet worden. Ein neuer Beruf war geschaffen worden, oder genauer: zwei. Können Sie sich noch erinnern, was damals Ihr erster Gedanke war, als wirklich klar wurde, dass das Gesetz beschlossen worden ist? Und wie ging es dann im Kreis der Verbände weiter?

Ellen Bruckmayer: Natürlich war ich kolossal erleichtert, dass die Psychotherapie nun abgesichert war und unser langes Bemühen erfolgreich. Aber mir war auch da sofort klar, wie schwierig es sein würde, das Gesetz umzusetzen, Psychotherapeuten bei den fristgerechten Antragstellungen zu unterstützen, die Eingliederung ins KV-System in Gang zu bringen und die Kammern zu gründen. Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich mich – entgegen meiner bisherigen Erwartungen – jetzt nicht zufrieden zurücklehnen konnte, sondern dass nun viel Arbeit auf uns zukommen würde. Die Verbände fanden in den Arbeitsgruppen bei der Bewältigung der gemeinsamen Aufgaben relativ schnell eine gemeinsame Basis; nur manchmal, bei den Kammerwahlen und jetzt wieder bei der Novellierung des PsychThG, waren und sind auch heute die alten Gräben wieder spürbar.

Heiner Vogel (PTJ): Die Gründung von Psychotherapeutenkammern nach dem Gesetz auf Landesebene war ja keineswegs zwingend und sie war auch bei den Psychotherapeut*innen umstritten. Welche Argumente wurden damals für bzw. gegen die Kammern ins Feld geführt?

Ellen Bruckmayer: Doch, die Gründung war zwingend, denn mit der Anerkennung des neuen Heilberufs unterliegen Berufsausbildung und -ausübung der Aufsicht des Staates. Dieser delegiert zwar viele Aufgaben an die Profession, aber dazu braucht es ein Organ, die Kammer. Die Skepsis beruhte darauf, dass wir alle „Verbandsdenken“ gewohnt waren. Die Mitgliedschaft in den Verbänden war freiwillig, die Mitgliedschaft in den Kammern jedoch nicht, und sie kostet auch noch zusätzlich. Die Frage für die berufsrechtliche Vertretung war nur, ob auch hier eine Eingliederung in die Ärztekammern oder eine eigene Berufsvertretung angestrebt werden sollte. Und das entschied Minister Seehofer in der letzten Sitzung im Oktober 1997, dem sog. „Showdown“, bei der alle anwesend waren, Vertreter von BMG, Gesundheitspolitik, KBV, Krankenkassen, Ärzten, Erstattungs- und Delegationspsychotherapeuten. Nach langer Debatte verfügte der Minister: Integration ins KV-System, denn sozialrechtlich sollte es nur ein Vergütungssystem geben, aber eigene Kammern für das Berufsrecht.

Im Gründungsausschuss der Kammern mussten dann auch wir (Frau Bruckmayer spricht hier von Bayern, die rechtlichen Gegebenheiten sind aber natürlich in allen Bundesländern gleich; Anm. d. Red.) umdenken, als unser Ministeriumsvertreter auf Landesebene uns erst einmal beibrachte, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ganz anders strukturiert ist und funktioniert, als wir das von unserem Verbandsdenken her gewohnt waren, und was die Eingliederung in das Heilberufe-Kammergesetz bedeutet.

Heiner Vogel (PTJ): Aber die Gründung der Bundespsychotherapeutenkammer, eines nicht eingetragenen Vereins, und die Herausgabe eines gemeinsamen Psychotherapeutenjournals (PTJ) war keineswegs zwingend. Sie wurde bereits nach Gründung von vier Landeskammern durch den späteren ersten Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer, Detlev Kommer, nachhaltig vorangetrieben.

Ellen Bruckmayer: Weil es nicht sinnvoll gewesen wäre, wenn jedes Bundesland seine eigenen Bestimmungen verabschiedet hätte, wurde schnell klar, dass wir für die Vertretung der gemeinsamen Interessen, für Informationen, Absprachen und Verkündungen von Entscheidungen ein gemeinsames Organ brauchten. Die Weiterentwicklung der Profession sollte und musste bundeseinheitlich erfolgen. Bedenken gab es vielleicht am ehesten bei den ehemaligen Delegationspsychotherapeuten, weil die ehemaligen Erstattungspsychotherapeuten in Verbindung mit den Hochschullehrern in den Kammern rein zahlenmäßig in der Mehrzahl waren, zumal sie aus diesem Grunde erst einmal auch die Macht übernahmen. Während des Gesetzgebungsverfahrens hatte es schon einmal einen Vorstoß für einen gemeinsamen Dachverband gegeben, der wegen dieser Mehrheitsüberlegungen abgelehnt worden war. Die Bundeskammer zu gründen, war also zwar keine zwingende Vorgabe, letztlich aber ein Selbstläufer.

Beim PTJ sah das anders aus: Ein gemeinsames Publikationsmedium für die Profession zu schaffen, war wirklich eine eigenständige Entscheidung der ersten Landeskammern. Und es war gut und richtig, eine Zeitschrift zu kreieren, in der sich alle Psychotherapeuten äußern und die Kammern Ihre Mitteilungen veröffentlichen können. Das verbindet. Dem Journal kommt eine wichtige integrative Funktion zu.

Heiner Vogel (PTJ): Wie bewerten Sie diese Entwicklung im Nachhinein? Gibt es Entwicklungen, die Sie eher kritisch sehen?

Ellen Bruckmayer: In den Kammern sind die Mehrheitsverhältnisse nun fest geschrieben, wie sie eben sind, und das läuft überwiegend problemlos und kooperativ. Bei anstehenden Entscheidungen wie jetzt bei der Novellierung des PsychThG, beobachte ich aber auch immer wieder ein Ringen um das bessere Argument und um Mehrheiten. Besorgt macht mich als Analytikerin natürlich, dass die Verhaltenstherapie so überhandgenommen hat, sowie die Spar- und Kontrollbemühungen von Politik und Krankenkassen. Durch viele Studien, u. a. durch unsere naturalistische Studie in Bayern, die QS-Psy-Bay, wurde nachgewiesen, dass Psychotherapien auch bei schweren Erkrankungen durchgeführt werden, dass sie wirksam sind, dass sie Geld sparen und dass sie beendet werden, sobald es den Patienten wieder ordentlich geht – ohne dass die Behandlungskontingente ausgeschöpft werden. Trotzdem wurde immer wieder behauptet, wir würden nur leicht Erkrankte behandeln – und das zu lange und mit den falschen Methoden. Die Landeskammern und die Bundeskammer leisten hier immer wieder wertvolle Überzeugungsarbeit, aber der Trend der Zeit ist leider: immer schneller, immer einfacher, immer bequemer und damit leider auch oft immer oberflächlicher. Auch die Digitalisierung dürfte hierzu beitragen. Die vielen Hinweise, besonders der BPtK, auf den wachsenden Bedarf und die langen Wartezeiten wurden leider auch am wenigsten als Argument dafür genommen, mehr Therapieplätze zu schaffen, sondern neue Rationierungsmaßnahmen anzuordnen: mehr Patienten sollen in kürzerer Zeit behandelt werden – womöglich nach einer Vorabprüfung von außerhalb, ob eine Psychotherapie überhaupt erforderlich ist. Solche Beschränkungen zu verhindern, ist eine gemeinsame Aufgabe, die maßgeblich von den Kammern mit Unterstützung durch das PTJ bewältigt werden muss und kann.

Heiner Vogel (PTJ): Nun sind wir 20 Jahre weiter: Wie hat sich das System der Kammern mit einer doch recht harmonischen Darstellung nach „außen“ und des PTJ mit einer ebenso geordneten Darstellung nach „innen“ aus Ihrer Sicht entwickelt?

Ellen Bruckmayer: Bei allen Kontroversen, die es naturgemäß immer wieder gab und gibt: In den Kammern wird eine hervorragende Arbeit geleistet. All denen, die diese Aufgaben mit großem Einsatz wahrnehmen, kann man nur dankbar sein. Ebenso denjenigen, die zum Gelingen des PTJ beitragen. Die Meinungsverschiedenheiten werden so innerhalb der Profession ausgetragen, gut so, und die Darstellung nach außen mit einer Stimme, wunderbar. Durch diese Arbeit ist die gesamte Profession zusammengewachsen und sie hat sich eine beachtenswerte Stellung im Gesundheitswesen erarbeitet.

Heiner Vogel (PTJ): Das PTJ, immerhin die vermutlich auflagenstärkste psychotherapeutische Zeitschrift der Welt, hat sich in enger Verbindung mit allen Kammern und Verbänden seit nunmehr 20 Jahren etabliert. Wie sehen Sie seine Rolle, auch vielleicht bei den bisherigen Diskussionen um die Reform des Berufes und die Weiterentwicklung der Psychotherapie?

Ellen Bruckmayer: Das PTJ hat – außer in den fachlichen Beiträgen – die Entwicklungen in der Psychotherapie differenziert und informativ immer neu dargestellt, und das wird es sicher auch weiter tun. Ich gehe davon aus, dass es demnächst Probleme und Lösungen bei der Umsetzung des neuen Gesetzes darstellen wird, sowohl was die Schwierigkeiten beim Umbau der Universitätsinstitute bei der Schaffung des neuen Studiengangs und der gleichwertigen Lehre aller Psychotherapieverfahren angeht als auch was die neuen Strukturen der bisherigen Ausbildungsinstitute für Psychotherapie und die Gestaltung der Weiterbildungen anbelangt. Auch bis zur Verabschiedung der Weiterbildungsordnungen der Kammern sind noch einige Streitpunkte zu klären. Das PTJ wird sicher weiter Schwierigkeiten und Lösungen differenziert darstellen.

Als Ausdrucksorgan der Psychotherapeuten insgesamt wendet sich das PTJ aber auch nach außen an Politik und Kostenträger. Ich hoffe sehr, dass es auch da Gehör findet und dass es uns mit vereinten Kräften gelingt, deren Bewertungs-, Kontroll- und Einsparungsbestrebungen in Schach zu halten, umso mehr, als diese mit ausufernder standardisierter Dokumentation erreicht werden sollen. Indikation, Therapieplanung und -durchführung obliegen ausschließlich dem Psychotherapeuten. Das PTJ kann und wird dazu beitragen, profitgesteuerte Veränderungen sowohl in der Psychotherapie als auch im gesamten Gesundheitswesen zu verhindern.

Heiner Vogel (PTJ): Ein wichtiges programmatisches Ziel des PTJ war es von Anfang an, die Verbindungen herzustellen und das Gemeinsame des Berufes und der psychotherapeutischen Aufgaben herauszuarbeiten – über die verschiedenen Verfahren hinweg, genauso wie über die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder.

Ellen Bruckmayer: Und das ist auch gelungen! Die Profession ist – nicht zuletzt dadurch – deutlich enger zusammengewachsen. Was sich in meinen Augen besonders schön entwickelt hat und wo auch ich meinen Horizont immer wieder erweitere, das ist die Darstellung der verschiedenen Tätigkeitsfelder. Im PTJ kann man ihre Vielfalt und ihre Entwicklungen nachverfolgen. Immer wieder interessant! Was die Verfahren angeht, so ist naturgemäß eine gewisse VT-Lastigkeit nicht zu übersehen. Die Psychoanalytiker dürften über ihre Anliegen, Sorgen und Lösungsvorschläge noch etwas ausführlicher informieren.

Heiner Vogel (PTJ): Die Diskussion um die Reform des Gesetzes hat ja mehrere Phasen gehabt, in denen teils sehr unterschiedliche Ausbildungskonzepte favorisiert worden sind. Zuletzt haben wir eine Aus- und Weiterbildungsstruktur diskutiert, die im Wesentlichen der ärztlichen Aus- und Weiterbildung nachgebildet ist. So kam es dann auch ins Gesetz. Die Chancen dieser neuen Aus- und Weiterbildungsstruktur wurden oft dargestellt. Aber es gab und gibt ja auch bedenkenswerte Risiken, die mit dieser nun eingeleiteten Entwicklung verbunden sind.

Ellen Bruckmayer: Bei der Diskussion um die Novellierung des PsychThG hat sich der Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) zuerst mehrfach für die Fortsetzung der postgradualen Ausbildung ausgesprochen. Die Direktausbildung war ursprünglich nicht unser Wunsch. Sie wurde uns vom BMG aus ordnungspolitischen Gründen auferlegt. Und das hat Vor- und Nachteile. Die Risiken, die Sie erwähnen, liegen neben den vorhin erwähnten Gefahren einer stark universitär geprägten Psychotherapie auch in dem Übergewicht der VT und der Beforschung fast ausschließlich der kurzen Verfahren. Auch Bestrebungen von interessierter Seite, die Qualitätsstandards abzusenken, gefallen mir als Richtlinienpsychotherapeutin natürlich gar nicht. Und als Psychoanalytikerin geht es mir um den Erhalt der analytischen Psychotherapie überhaupt. Dieses wissenschaftlich bedeutsame und in der Versorgung bewährte Verfahren, mit dem schon 1967 die Kassenfinanzierung der Psychotherapie eingeführt wurde, darf nicht durch die Übermacht anderer Interessensgruppen verdrängt werden.

Heiner Vogel (PTJ): Welche Aufgaben sehen Sie nun auf die Beteiligten zukommen?

Ellen Bruckmayer: Im Moment drehen sich die Auseinandersetzungen in Kammern und Bundeskammer hauptsächlich um die Weiterbildung, für uns Psychoanalytiker wesentlich auch darum, dass unsere bewährte verklammerte Aus- bzw. Weiterbildung erhalten bleibt. Zwar wurden die analytische und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie gemeinsam entwickelt, sind inhaltlich eng verzahnt und auch so gelehrt worden, aber nun wurden sie getrennt und es wird manchmal argumentiert, als gäbe es keine strukturelle Verbindung. Hier gilt es, Lösungen zu finden, die beiden Verfahren gerecht werden und die bewährte gemeinsame Weiterbildung weiterhin ermöglichen. Außerdem müssen die bisherigen Ausbildungsinstitute jetzt völlig umstrukturiert werden. Da kommt viel Arbeit auf sie zu. Überdies sollte wieder vermehrt der Schulterschluss mit den Ärzten, vor allem mit den psychotherapeutisch tätigen, gesucht werden. Ich meine nach wie vor, dass es eine Psychotherapie gibt, egal durch wen sie ausgeführt wird. Eine Aufsplitterung in eine ärztliche und eine psychologische Psychotherapie wäre ein Verlust. Und politisch ist mit gemeinsamem Einsatz sicher mehr zu erreichen.

Heiner Vogel (PTJ): Das neue Gesetz verändert eine Reihe von Setzungen des alten Gesetzes, die sich damals vermutlich nicht anders bewerkstelligen ließen und deshalb auch sinnvoll waren: Wie bewerten Sie diese: Es gibt zukünftig einen Beruf (statt bislang zwei) mit zwei Spezialisierungen; die Ausbildung beginnt im Studium (wie bei Ärzt*innen); die Regelung der vertieften Qualifizierung (Weiterbildung) ist in der Hand des Berufes (wie bei Ärzt*innen) ...

Ellen Bruckmayer: Die Zusammenführung von Erwachsenenpsychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist ein sinnvoller Schritt, nur müsste die Möglichkeit, zwischen der Behandlung von Kindern und Jugendlichen und der von Erwachsenen wechseln zu können, noch erleichtert werden. Die Argumentation von KJP, dass sie mit zunehmendem Alter leichter mit Erwachsenen arbeiten würden, hat mir oft eingeleuchtet.

Am meisten Sorge macht mir, dass die Qualifizierungsphase 1 als Approbationsstudium überwiegend an die psychologischen Institute der Universitäten verlagert wurde. Schon während des Gesetzgebungsverfahrens hat ein Hochschullehrer am Rande einer Sitzung verkündet: „Wir werden eine neue Psychotherapie schaffen, eine psychologische Psychotherapie“. Nun befürchte ich, dass an vielen psychologischen Universitätsinstituten eine unspezifische/einseitige Psychotherapie geschaffen werden soll, die möglichst manualisiert ist, weil leichter beforschbar. Das Spannungsfeld in diesen Fällen entsteht dadurch, dass die Hochschulen einerseits autonom sind, frei in Forschung und Lehre, dass sie aber andererseits – analog dem Medizinstudium – für einen Heilberuf mit Approbation qualifizieren und hierfür gesetzlich explizit die Lehre in allen wissenschaftlich anerkannten Verfahren vorgeschrieben ist. Dieser Spagat ist erst noch zu bewältigen.

Heiner Vogel (PTJ): Welchen Einfluss wird das neue Gesetz auf die Psychotherapieverfahren haben?

Ellen Bruckmayer: Weil an den psychologischen Universitätsinstituten zumeist die Fachkunde in Verfahren über die Verhaltenstherapie hinaus fehlt, ist meine Sorge, dass die im Gesetz geforderte Verfahrensvielfalt minimiert oder gar konterkariert wird.

Die Auseinandersetzungen um die Nachbesetzung des Arbeitsbereichs Psychoanalyse am Fachbereich Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sind beispielhaft. Die Habermas¬-Professur soll nicht mehr als „Professur für Psychoanalyse“ ausgeschrieben werden, sondern „verfahrensoffen“. Durch die strukturelle Benachteiligung analytischer Bewerber bei diesem Ausschreibungsmodus würde de facto der Arbeitsbereich verdrängt werden, an dem bisher die Qualifizierung in analytischer und in tiefenpsychologischer Psychotherapie hochkarätig geleistet wurde – und das obwohl in der Patientenversorgung in fast der Hälfte der Behandlungen psychodynamische Verfahren indiziert sind. Schon jetzt sind fast alle Lehrstühle für Klinische Psychologie und Psychotherapie und ebenso sämtliche neu geschaffenen Lehrstühle für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie verhaltenstherapeutisch besetzt. Und weil es dann nur noch in Kassel einen einzigen Lehrstuhl für Klinische Psychologie geben würde, der von einem Psychoanalytiker besetzt ist, wäre das es ein riesiger Verlust zum Schaden der Verfahrensvielfalt.

Ich hoffe sehr, dass es der Profession gelingt, eine Verarmung der Versorgung zu verhindern, mit anderen Worten, dass es gelingt, auch mit den neuen Bestimmungen eine qualitativ hochwertige, vielfältige, individuelle und nachhaltige Psychotherapie zu erhalten.

Und hier ist wieder die integrative Funktion des PTJ gefragt. Ich gehe davon aus, dass weiterhin mit Beiträgen aus den verschiedensten Bereichen sowohl die existierenden Schwierigkeiten und Differenzen dargestellt werden können als auch Ideen zu deren Bewältigung und zur Einigung.

Vielen Dank für das Gespräch

- - -
1
Die TK-Regelung und die Empfehlungsvereinbarung IKK/BKK regelten, dass Psychotherapeut*innen unter definierten Vorgaben Versicherte der jeweiligen Krankenkassen behandeln konnten. Beide Vereinbarungen wurden nach Klagen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom Landessozialgericht Essen am 23. Oktober 1996 für rechtswidrig erklärt. Den Kassen wurde eine weitere Anwendung der Regelungen untersagt (näher hierzu: Schildt, H. (2007). Vom „nichtärztlichen“ zum Psychologischen Psychotherapeuten/KJP. Psychotherapeutenjournal, 6 (2), 118–129, 122 f.).