76. Jahrestagung der DGPT
Referenten
Freitag, 19.09.2025 von 14:00 bis 15:30 Uhr
PV 1.1 Einsamkeit aus der Perspektive von Pränatal- und Frühgeborenenpsychologie
Dr. med. Uta Zeitzschel
Zu früh auf der Welt – Verloren im Raum.
Annäherungen an das Erleben extrem kleiner frühgeborener Kinder durch analytische Säuglingsbeobachtungen auf der Neo-Intensivstation
Weltweit wird heute jedes 10. Kind früh, d.h. vor der 37. SSW, geboren und sind frühgeborene Kinder bereits ab der 22. SSW überlebensfähig. Extrem kleine (Geburtsgewicht < 1.000 g) und sehr kleine frühgeborene Kinder (Geburtsgewicht < 1.500 g) können nur mit längerer intensivmedizinischer Versorgung überleben. Obwohl zunehmend mehr Kinder und Erwachsene mit Frühgeburtsanamnese unsere psychotherapeutische Behandlung suchen, gibt es bisher einen Mangel an Wissen zu der Situation Frühgeborener und ihrer Eltern.
Wie stellt sich das Erleben extrem kleiner frühgeborener Kinder in ihren Inkubatoren dar? Wie kann es nach der zu frühen, meist abrupten Trennung von Mutter und Baby zu Berührungen zwischen den Eltern und ihren zu früh geborenen Kindern kommen? Welchen Halt brauchen die Kinder, welchen Halt brauchen ihre Eltern? Welche Folgen kann ein solcher zu früher extrauteriner Lebensbeginn im weiteren Leben haben?
Durch meine analytischen Beobachtungen vermittele ich Annäherungen an die frühe postnatale Situation extrem kleiner Frühgeborener, die neben der medizinischen und elterlichen Versorgung von dem Fehlen ihrer intrauterinen Umgebung, ihren unintegrierten Zuständen und frühsten sensuell-somatischen Organisations- und Abwehrformen geprägt ist. Vor diesem Hintergrund stelle ich Überlegungen zu psychischen Folgeerkrankungen der Frühgeburtlichkeit und der psychotherapeutischen Behandlung Erwachsener mit Frühgeburtsanamnese an.
Dipl.-Psych. Bruni Kreutzer-Bohn
Verlorenheit und Einsamkeit im Mutterleib - die erste große Kränkung mit Folgen für Schwangerschaft, Geburt, Bonding und Bindungsfähigkeit
Der Weg zu unseren pränatalen Wurzeln geht durch den Körper und die Gebärmutter, das älteste Viertel unserer Entwicklungsgeschichte. Die Bedeutung der prä-, peri- und postnatalen Körperinschriften in die Entwicklungspsychologie der Psychoanalyse zu integrieren ist mir eine Herzensangelegenheit, für die ich brenne. Nach wie vor werbe ich für eine Sektion „Prä- und Perinatalpsychologie“ in der DGPT, in der ich mich gerne aktiv engagieren würde.
Meine KIP hat sich in den letzten 12 Jahren aus meiner therapeutischen Arbeit entwickelt. Meine Wurzeln sind meine eigene prä- und perinatale Geschichte, meine verzweifelten Patientinnen mit hochambivalenten Kinderwunsch-Verluste, Totgeburten, unerfüllter Kinderwunsch- und meine Begegnung mit der Bindungsanalyse, in der ich eine 2-jährige fundierte Weiterbildung mit laufender Supervision absolviert habe. Meine Methode ist mittlerweile konzeptualisiert, erwachsen aus etwa 1000 Praxisstunden, verbunden mit 300 Selbsterfahrungsstunden in Pränatalpsychotherapie. Ich habe meine KIP schon auf etlichen Foren vorgestellt, bin Supervisorin, Dozentin und Ausbilderin in Bindungsanalyse.
Struktur des Vortrages:
- meine Wurzeln - es fehlte was, was mir der Körper zeigte
- meine Basics und Verstehenskonzepte
- Fallbeispiel:
- Verluste in der Schwangerschaft mit massiven Kontrollzwängen aufgearbeitet mit KIP (6 frühe Geburten zwischen 4. Und 20. SW)
- Das Baby fühlt sich eingeladen: Bindungsanalyse in einem haltenden Gebärraum mit heftigen Übertragungen
- Gute Geburt mit Überlebensstress für das Baby nach der Geburt
- Weitere Durcharbeitung im Sinne von Regression und Progression des Gesamtprozesses mit KIP mit weiterem Kinderwunsch
- Der Prozess ist angefüllt mit Bildschöpfungen und Fotos
PV 1.2 Subjekt-Entwicklung und Einsamkeit
Dr. phil. Dorothee Adam-Lauterbach
Psychodynamische Aspekte von Geschwisterlosigkeit und Einsamkeit
Einzelkinder sind im Unterschied zu Geschwistern allein von elterlichen Projektionen und narzisstischer Besetzung betroffen. Sie erleben häufiger Parentifizierung, was die ödipale Dynamik verschärft. Aufgrund einer damit einhergehenden persistierenden intensiven Bindung und Loyalität den Eltern gegenüber ist die Ablösung und Individuation für Einzelkinder oftmals noch im Erwachsenenalter belastet. Das Infragestellen der idealisierten Elternobjekte und die Aufgabe der narzisstisch besetzten Parentifizierung bleiben dann defizitär. Dieses kann sich klinisch manifestieren, wenn es z.B. um die Pflege und das Sterben der Eltern geht. Trotz sozialer Kontakte und freundschaftlicher Beziehungen können Menschen, die als Einzelkinder aufgewachsen sind, unter einer existentiellen Einsamkeit leiden, die Nähe und Intimität zu anderen erschwert. Dieses kann sich in der psychotherapeutischen Behandlung in der Gegenübertragung als ein Erleben von Einsamkeit, Distanz und Fremdheit zeigen. Gelingt die Bearbeitung der psychodynamischen Aspekte der Einzelkinderfahrung, wird oftmals eine Suche nach geschwisterlichen Identifikationen in der Übertragung und Gegenübertragung erlebbar. Damit entwickeln sich mehr Autonomie und eine Erweiterung der inneren Objektwelt der PatientInnen. Wichtig ist das Verständnis des Therapeuten bzw. der Therapeutin, dass die Suche nach Geschwisterlichkeit als Präkonzeption und universale Erfahrung in der menschlichen Entwicklung gesehen werden kann. Aus relationaler Sicht sind das Aufspüren und die Anerkennung von Geschwisterübertragungen in der Behandlung wesentlich, um der oft unbewussten Einsamkeit therapeutisch entgegenzuwirken und eine neue Bezogenheit zu ermöglichen.
Dr. phil. Dipl.-Psych. Elisabeth Imhorst
Warum Autonomie und reife Abhängigkeit gegen Einsamkeit helfen können
Zur Frage, was wir als Psychoanalytiker:innen mit unserem spezifischen Wissen zu einer „Strategie gegen Einsamkeit“ (BMFSFJ 2024) beitragen können, schlage ich vor, drei zentrale psychische Voraussetzungen zu diskutieren:
ein stabiler gesunder Narzissmus,
die Bewältigung der ödipal-triadischen Situation und
die Bereitschaft, realistischem Denken Vorrang vor phantasmatischem Denken zu geben.
Ein Mensch, der ein stabiles Selbstwertgefühl hat, muss nicht ständig seine Autonomie oder seine individuellen Bedürfnisse in dem Mittelpunkt stellen.
Ein Mensch, der sein unvermeidliches Ausgeschlossen-Sein aus Zweier-Konstellationen, bewältigt hat, kann in familialen und anderen Gruppen leben, ohne sich entwertet zu fühlen.
Ein Mensch, der in der Lage ist, subjektive Empfindungen realitätsbezogen zu prüfen, bekommt ein realistischeres Verständnis für das, was ihm/ihr subjektiv und objektiv möglich ist.
Damit sind Entwicklungsziele umrissen, die alle drei die Fähigkeit fördern, mit unvermeidbaren Enttäuschungen in Beziehungen fertig zu werden. Sie helfen, das individuelle Bedürfnis nach Autonomie, das wir in unserer Gesellschaft lange einseitig priorisiert haben, mit dem individuellen Bedürfnis nach selbstverständlicher Zugehörigkeit in Einklang zu bringen und damit Einsamkeit zu verringern.
PV 1.3 Einsamkeit in psychoanalytischen/psychotherapeutischen Behandlungen I
Dipl.-Psych. Hildegard Mergel-Hölz
Im Spannungsfeld zwischen Einsamkeit und Vertrauen
In der psychoanalytischen Arbeit mit einer über 70-jährigen Patientin wird die Scham und Verzweiflung deutlich, die das Gefühl der Einsamkeit abwehrt, „verhüllt“. Die anfängliche Schwierigkeit eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, mündet in einen schöpferischen Austausch, in der die innere frühe Einsamkeit der Patientin und ihr Ringen diese zu überwinden sich entfalten. Es geht um das „einsame Kind“, welches den kriegstraumatisierten Eltern als Einzelkind ausgesetzt war, bis zur Einsamkeit der allein- lebenden Frau im Alter. In einem fast zwanghaft anmutenden Drang sich und ihren tief depressiven Zustand zu verstehen, beginnt die Patientin ihre Zustände in assoziativ gemalten Bildern auszudrücken. Die psychotherapeutische Arbeit nimmt diese Ausdrucksform als Verstehens- und Deutungsebene auf. Ergänzt wird die Fallarbeit durch zwei Filmausschnitte, in denen die Patientin und die Therapeutin (nach der Behandlung) einen verstehenden Dialog zu zwei Bildern führen.
Dipl.-Psych. Anna Sophia Schnur
Mutterseelenallein – Einsame Menschen in der Psychotherapie
Einsamkeit wird hier als Unfähigkeit beleuchtet, sich mit einem Gegenüber emotional zu verbinden. Das Gefühl von Entfremdung von der Welt kann zu unerträglichem Leiden führen und wird zunehmend Anlass zur Aufnahme einer Psychotherapie. Doch wie ist das Zustandekommen von Einsamkeit zu erklären, warum können Menschen mit Kontakt- und Beziehungsstörungen sowohl die ersehnte Nähe als auch das Anderssein des Anderen nicht ertragen?
Im Vortrag soll eine Auswahl an psychodynamischen Theorieansätzen zum Thema diskutiert werden. Hierbei können das Verständnis der narzisstischen Persönlichkeitsstörung nach Kernberg und Kohut und auch die Betrachtungen von Arno Gruen zum „Fremden in uns“ weiterhelfen, in der das Fremde als projizierter Teil der eigenen gehassten inneren Objekte verstanden wird. Mit Jean-Michel Quinodoz können wir Einsamkeit als schizoide Angst verstehen. In einer Fallvignette wird illustriert, wie es zu dem Phänomen kommt, dass manche einsame Menschen an ihrem Leiden so stark festhalten, dass therapeutische Bemühungen und Teilerfolge wieder zunichte gemacht werden müssen. Nach Küchenhoff entsteht die Persistenz des Leidens aus verinnerlichten Beziehungserfahrungen, die mit Leid verknüpft waren und die nicht aufgelöst wurden. Als verinnerlichte Beziehungsmuster werden sie externalisiert und gestalten die Beziehungen zu Mitmenschen. So entstehen aus internalisierten Beziehungserfahrungen einsamkeitsmanifestierende Beziehungsinszenierungen.
PV 1.4 Einsamkeit in psychoanalytischen/psychotherapeutischen Behandlungen II
Dipl.-Psych. Thomas Abel
“Wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!”
Einsamkeit als ein Widerstand gegen das Erkanntwerden
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind in Deutschland jedes Jahr 27,8% der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Von diesen 17,8 Millionen Menschen haben aber nur 3,4 Millionen im Laufe des vorangegangenen Jahres nach einer Psychotherapie gesucht. Die anderen 80% bleiben mit wesentlichen Aspekten ihres Erlebens einsam, ob sie nun allein leben oder nicht. Sie halten es wie das Rumpelstilzchen, das nur einsam im Wald seinen Namen nennt, weit weg von allen Menschen. Aber auch die, die zu uns in Therapie kommen, sind unsicher, ob wir ihren Namen, ihr Erleben, ihre Identität erraten und verstehen sollen, oder doch lieber nicht. Innere Einsamkeit wird dann auch in der Therapie zu einem Widerstand gegen das Erkanntwerden der psychischen Identität. Ohne seine Bearbeitung wissen wir nie, wer da vor uns sitzt. Wenn wir es zu früh durch Erkundungen erfahren, versinkt das Rumpelstilzchen vor Scham in Grund und Boden, so dass es aus der Therapie auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Nicht umsonst hat Freud die Hypnose aufgegeben, die zu schnelle Einblicke ermöglichte und sie durch die Regel ersetzt, dass ein Verstehen des Widerstandes dem des Inhaltes vorangeht.
Dr. phil. Klemens Färber
Mich gefunden! - Euch verloren?
Viele Wege führen in die Einsamkeit: darunter auch manche Pfade, die von Therapeuten begleitet worden sind. - Ob Selbstisolation und Verlorenheit nicht zuweilen erst in Behandlungen entstehen oder sich dort weiter verfestigen? Schon allein der Gedanke klingt für die Psychotherapie bedrohlich. Dabei ist die Frage nach manchen Nebenwirkungen unseres Tuns wichtig genug, um sie uns nicht erst von einer kritischen Öffentlichkeit aufzwingen zu lassen.
In der therapeutischen Haltung scheint es immer mehr darum zu gehen, den Patienten „gerecht“ zu werden: Gemeint ist damit oft deren Bedürfnis, „mehr gesehen“ oder „richtig gesehen“ zu werden. Doch verlieren wir Therapeuten vor lauter Spiegeln nicht manchmal die Gesundheitsziele aus den Augen? Insbesondere das Fördern all dessen, was unsere Patienten befähigt, als soziale Wesen zu bestehen?
Dazu gehört auch, sie vor bestimmten Strategien der Unlustvermeidung zu schützen; etwa solchen, die schon Alltagskonflikte zur Diskriminierung umdeuten oder mäßige Herausforderungen zur Überforderung erklären. Beides führt oft in die Sackgasse der Selbstgerechtigkeit. - Einmal dort gelandet, werden Patienten von fast niemandem mehr verstanden: außer von uns bezahlten Helfern.
PV 1.5 Fremdheit in der Mehrheitsgesellschaft
Dr. phil. Gregor Luks
Now-Moments of Separation - Aspekte jüdischer und ostdeutscher Einsamkeitserfahrungen in Deutschland nach 1945 bzw. nach 1989
Publizisten Henryk M. Broder. Dieser Titel sollte ein Lebensgefühl vieler Juden in Deutschland der bundesrepublikanischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber ausdrücken. Gefühle von Entfremdung und Einsamkeit können auch heute, vermehrt seit dem 07. Oktober 2023, in der jüdischen Community in Deutschland beobachtet werden. Immer wieder erleben Juden in Beziehungsdynamiken mit deutschen Nichtjuden sog. „now-moments of separation“, Momente einer trennenden Gegenwärtigkeit (im Gegensatz zu Daniel Sterns tiefer Verbundenheit im „now-moment“).
Auch die Ost-West-Beziehungen in Deutschland sind seit dem Mauerfall 1989 und der deutschen Einheit von 1990 immer wieder von individuellen und kollektiven Einsamkeits- und Fremdheitserfahrungen auf Seiten vieler Ostdeutscher, geprägt gewesen. Multiple Krisen führten in den letzten Jahren oftmals zu einer Verschärfung dieser Gefühlswelten.
Selbstverständlich sind die Ursachen dieser beiden Einsamkeitserfahrungen völlig unterschiedlich gelagert. Während das jüdische Fremdheitsgefühl durch eine über viele Generationen alte Ausgrenzung, welche im Holocaust ihren Gipfel fand, bedingt ist, sind ostdeutsche Fremdheits- und Einsamkeitsgefühle erst seit 1989 aufgetaucht und nicht durch ein Extremtrauma entstanden.
Der Vortrag möchte dennoch Aspekte dieser unterschiedlichen Einsamkeitserfahrungen inmitten der deutschen Mehrheitsgesellschaft beleuchten und zugleich mögliche Wege aus der trennenden Gegenwärtigkeit heraus aufzeigen.
Dipl.-Psych. Doreen Röseler
Zur „beinahe“ Alltäglichkeit von Einsamkeits- und Verlusterfahrungen junger Menschen in der Großstadt und deren Auseinandersetzung mit den facts of life
Unter Rückgriff auf die Theaterinszenierung Dämonen Berlin (2024) setzt sich der Vortrag mit den Hoffnungen, Illusionen und Visionen junger Menschen auseinander, die in einer Großstand ankommen und sich dann mit Desillusionierung, Einsamkeits- und Ohnmachtserfahrungen konfrontiert sehen. Die Erfahrung vom Ankommen und Verlorengehen in der Großstadt wurde in diese Inszenierung integriert, die ein Modell für die Gesellschaft bietet und aufzeigt, wie sich die Stadt und die Erfahrungen mit ihr in das Erleben einschreibt. Schmerzliche Erfahrungen in Verbindung mit dem Vergessen- und Verlassenwerden finden Eingang in den Textkorpus und erzählen von Begrenzungen, Abhängigkeiten und Verlust. Der britische Psychoanalytiker Roger Money-Kyrle setzte sich mit dem psychischen Leid auseinander, welches durch die Tatsachen der menschlichen Existenz, den facts of life, ausgelöst wird, die sich aus Abhängigkeit, Unterschied und Vergänglichkeit ergeben und die wegen ihres angstauslösenden Gehalts meist abgewehrt, entstellt, verleugnet oder verfälscht werden. Junge Erwachsene sehen sich nicht selten beim Ankommen in einer Großstand intensiv im Kontakt mit eben jenen facts of life, deren Anerkennen einem schmerzhaften Prozess gleichkommt, der sowohl Krisenhaftes wie auch die Chance auf mehr Entfaltung und Integration mit sich bringen kann, wobei auch die gesellschaftliche Resonanz von elementarer Bedeutung ist.
PV 1.6 Digitalisierung und Einsamkeit
Sebastian Becker
Soziale Medien und die Rückabwicklung von Einsamkeit als angreifende Leere:
Eine objektbeziehungstheoretische Analyse digitaler Regressionsangebote
Ein beziehungsloser IT-Student entwickelte ein soziales Netzwerk mit dem weltweiten Anspruch, Einsamkeit zu trotzen. Diese Innovation hielt Einzug in nahezu jede Beziehungsgestaltung. Die Versuchung, welche von solch technischen und heilsbringenden Verwandlungsobjekten ausgeht, kann die nötige Anerkennung von ödipalen Verhältnissen, ausgeschlossen zu sein, verhindern. Die omnipotente Fantasie, dass Objekte jederzeit heraufbeschwört werden können, entspringt jenem regressiven Erschaffungsmythos, sie gar selbst hervorgebracht zu haben. In der vorsymbolischen Welt muss Objektlosigkeit somit nicht ertragen, sondern höchstens, als Manifestation eines bösen Partialobjektes vernichtet werden. Erst die stetige Hintergrunderfahrung von Ab- und Anwesenheit lässt ein „ent-wickeltes“ Denken entstehen, durch welches ‚Abwesenheit‘ überhaupt erst zur denkbaren Kategorie wird.
Alternierend vertieft sich die Qualität des Denkens samt affektiver Fantasien an der Oberfläche aktueller Objektbeziehungen. Diese Oberfläche, welche sich durch soziale Mediennutzung anders zu konfigurieren scheint, gibt nach aktueller Forschungslage Anlass dazu, als narratologischer Nährboden für vorsymbolische Erfahrungswelten zu fungieren.
Im Sinne einer sozialpsychologischen Objektbeziehungstheorie kann dies gar als tektonische Verschiebung der prädominierenden, erfahrungsbildenden Modi angesehen werden.
Der Prämisse folgend, sollen weiter die individuellen und globalgesellschaftlichen Implikationen untersucht werden.
Dr. phil. Ann-Madeleine Tietge
Wie kann Psychoanalyse einer mangelnden Resonanzerfahrung im digitalen Zeitalter begegnen?
Nicht nur, aber vielem vorneweg ist Digitalisierung verantwortlich zu machen für ein verbreitetes, mangelndes Resonanzerleben (vgl. Rosa, 2016): In Sprachnachrichten gesprochen schallen emotionale Selbstoffenbarungen ins Leere; in Textnachrichten geschrieben werden sie zu interpersonellen Arbeitsaufträgen statt Mitgefühl zu wecken. Influencer sprechen ihr „Gegenüber“ zwar an, als wäre es anwesend; dennoch wird seine Existenz wie im Selbstgespräch verneint. Zwar wird auf Resonanz geholt, doch möge das Gegenüber dabei ausschließlich wohlwollend und keinesfalls zunahetretend sein. Die „schwarzen Spiegel“, d.h. Smartphones (vgl. Lemma, 2019), sollen in diesem Sinne vor allem „schmeichelnde Spiegel“ (vgl. Bourdieu, 1997) bleiben. Ein Moment der Begegnung (im Sinne Sterns, 2005), d.h. auch eine Auseinandersetzung mit einem Gegenüber, wird so nicht erfahrbar, wenn nicht sogar vermieden. Kann die psychoanalytische Behandlung durch ihr Festhalten an einem zwischenleiblichen (nicht digitalen) Setting, ihrer intersubjektiven Perspektive und ihrem Fokus auf das aus dem Gesellschaftlichen ausgeschlossene, weil verpönte Unbewusste dieser fehlenden Form der Begegnung entgegenwirken? Im besten Fall ja. Doch gilt es zu beachten, dass sie den Patient:innen nicht selbst als hohle Echokammer dient und durch fortwährendes Sinnieren allein deren „reflexivem Selbst“ dazu verhilft, auf Kosten eines lebenspraktischen, sinnlichen Erlebens zu expandieren (vgl. Helsper, 1997).
PV 1.7 Einsamkeit als Weg in den Extremismus
Dr. phil. Hanspeter Mathys
Macht Einsamkeit anfällig für autoritäre Ideologien?
Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft in einen Ausnahmezustand versetzt, der nebst anderem durch weniger sozialen Kontakt und mehr Rückzug gekennzeichnet war. Unter diesen Bedingungen gediehen kollektive Vorstellungen, die so nicht unbedingt vorhersehbar waren. An erster Stelle sind Verschwörungsnarrative zu nennen, die sich zwar betont um die Bewahrung von Freiheiten drehten, darin aber zugleich einen «libertären Autoritarismus» (Amlinger&Nachtwey, 2022) zum Ausdruck brachten, der in dieser Radikalität neu war. In einer ersten Runde scheint also die Frage im Titel mit Ja beantwortet werden zu können. Daran schliesst sich die weitere Frage an, welche psychischen Bedingungen das Alleinsein zu schwer erträglicher Einsamkeit qualifizieren, die wiederum anfällig für die Propaganda autoritärer Bewegungen machen könnte. In seinem Aufsatz «Über die Fähigkeit, allein zu sein» (1958), betont D.W. Winnicott, dass es entscheidend darauf ankomme, ob eine ausreichend gute Umgebung internalisiert werden konnte, damit die Abwesenheit des guten Objekts und damit das Alleinsein gut ertragen werden kann. Am Beispiel einer weiteren autoritären Ideologie, derjenigen des christlichen Fundamentalismus, soll dies konkretisiert werden. Aus psychoanalytischer Sicht kann der christliche Fundamentalismus als Unerträglichkeit, mit der Abwesenheit eines guten (göttlichen) Objekts umzugehen, konzipiert werden, so die Hauptthese des Vortrags.
Dipl.-Psych. Kerstin Sischka
Christiane Montag, Maria Melzer, Heiner Vogel, Anna-Lena Bröcker
Unbehauste Seelen und militarisierte Zustände - Hoffnung und Vergeblichkeit in der Arbeit mit extremistischen Klienten und ihren Familien
PV 1.8 Klimaforum
Prof. Dr. rer. soc. Hans-Jürgen Wirth
Wie Menschenbilder die Wahrnehmung der Klimakrise und mögliche Auswege beeinflussen.
Der Klimawandel hat vielfältige Auswirkungen auf unser Weltbild (»Geht die Welt, wie wir sie kennen, unter?«), beeinflusst aber auch unser Menschenbild (»Warum sind so viele Menschen blind für die Katastrophe, auf die die Welt zusteuert?«). Auch unser Selbstbild wird durch die Klimakrise herausgefordert (»Erschüttert mich die drohende Klimakatastrophe auch persönlich?«). Generell stellen extreme gesellschaftliche Krisen wie Pandemien, Kriege oder die drohende Klimakatastrophe eine Herausforderung für die Stabilität, inhaltliche Ausrichtung und innere Kohärenz von Selbst-, Menschen- und Weltbildern dar. In Menschenbildern verdichten sich Wertvorstellungen und implizite Annahmen über »die Natur des Menschen« und bilden den Hintergrund für konkurrierende Erklärungen der Krisenursachen und ihrer möglichen Bewältigung.
In dem Vortrag sollen einige ausgewählte Menschenbilder diskutiert werden, die für die Klimathematik relevant sind. Dabei werden sie zunächst mit ihrem theoretischen Hintergrund vorgestellt, um sie anschließend daraufhin zu befragen, was sie zum Verständnis der Klimaproblematik beitragen und welche Konflikte und Dilemmata sie im Hinblick auf klimapolitische Maßnahmen erwarten lassen.
Dipl.-Psych. Nadine Berger
Die Erschaffung von Einsamkeit – vom Zerstören dessen, wonach wir uns existenziell sehnen
Zum Zusammenhang von Patriarchat und Polykrise
Wir Menschen haben eine Welt der Einsamkeit erschaffen. In unserem Drang, uns die Welt untertan zu machen, haben wir ebenjene verarmt, ausgebeutet und radikal versehrt. Wir haben uns an das Ende der „großen Kette der Wesen“ (Christ) gesetzt und uns damit aus dem Web of Live exkludiert. Durch diese „aktive Unterbrechung liebevoller Verbindungen“ (Weintrobe) schreitet die Einsamkeit voran – in der Welt und in uns. Dabei sind wir von Beginn an durch und durch soziale, also verbundene Wesen. Ohne das spiegelnde Gegenüber verkümmern, ja sterben wir. Warum aber gefährden wir diese Ver-Bindungen, im Kleinen wie im Großen? Warum bekämpfen wir das, wonach wir uns existentiell sehnen?
In meinen Ausführungen möchte ich deutlich machen, dass patriarchale Wertsetzungen in diesen Prozessen eine außerordentliche Wirkmächtigkeit entfalten – das gilt für die individuelle, zwischenmenschliche und gesellschaftliche Ebene. Um diese Zusammenhänge aufzuzeigen, greife ich auf Erzählungen und Prozesse meiner Patient*innen, sowie meine psychologischen und politischen Auseinandersetzungen mit der Polykrise zurück. Aus der Analyse der Zusammenhänge zwischen Einsamkeit, Patriarchat und Polykrise werde ich Schlussfolgerungen ziehen bezüglich unserer Möglichkeiten zu einem Leben mit mehr Verbundenheit und weniger (toxischer) Einsamkeit.
PV 1.9 Geschichtsforum
Dr. Steffen Dörre
Prof. Hans-Walther Schmuhl
Wie schreibt man eine Geschichte der DGPT? Ein Werkstattbericht
Zum Abschluss des Forschungsprojekts zur Gründungs- und Frühgeschichte der DGPT erstatten die beiden Bearbeiter einen Werkstattbericht, der die konzeptionellen und methodischen Herausforderungen reflektiert, die mit einem solchen Projekt verbunden sind, aber auch die Potentiale und Perspektiven, die es eröffnet. Es wird erörtert, wie man ein soziales Gebilde wie die DGPT fassen kann – im Sinne der Organisationssoziologie als Berufsverband und Fachgesellschaft, mit den Mitteln der Netzwerkanalyse als Beziehungsgeflecht innerhalb eines epistemischen Feldes, mit kulturwissenschaftlich geschultem Blick als eine durch gemeinsame Werte und Anschauungen, durch Sprache und Habitus zusammengehaltene Gemeinschaft. Ferner legen wir dar, wie wir uns den Biographien zentraler Akteure angenähert haben, wie ihre Lebensgeschichten im Abgleich mit den historischen Fakten dekonstruiert, ihre autobiographischen Narrative zugleich aber als Bausteine einer kollektiven Identität analysiert werden können – und wie man am Ende zu einer angemessenen und abgewogenen historischen Beurteilung gelangt. Schließlich skizzieren wir die größeren Zusammenhänge, in die wir die Geschichte der DGPT eingeordnet haben, und zeigen auf, welche Beiträge unser Projekt zur Geschichte der Human-, Sozial- und Erziehungswissenschaften und zur Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland leisten kann. Der Werkstattbericht versteht sich als Ergänzung zu unserem Eröffnungsvortrag. Er bietet die Gelegenheit zu einer vertieften Diskussion über die Konzeption, die Methodik und die Erträge unserer Forschung.
Referenten
Samstag, 20.09.2025 von 14:30 bis 18:00 Uhr
PV 2.1 Einsamkeit aus der Perspektive spezifischer Störungsbilder
Dipl.-Psych. Anne Jessen-Klingenberg
Äußere und innere Einsamkeit überwinden - Neue Wege in der Behandlung von Anorexie
Ausgehend von einem frühen Mangel an Resonanz und weiterer Traumatisierung (Ettl 2018) ,(Hirsch 2010) haben anorektische PatientInnen ein verzerrtes oder gehemmtes Körperschema (Schilder 1923) entwickelt. Diese PatientInnen können ihr Körper-Selbst nicht abgegrenzt spüren und erleben. Die Folge ist meist eine ausgeprägte innere und äußere Einsamkeit. Soziale Integration, befriedigende Beziehungen und berufliche Ziele können - trotz oft hoher Kompetenz- nicht gelebt werden, weil ein entstandener, innerer Käfig vermeintlich Sicherheit verspricht.
Eine neue Art der psychoanalytischen Behandlungstechnik stellt die Beziehung zum Körper in den Mittelpunkt. Das wird anhand verschiedener Fallvignetten junger Patientinnen mit chronischer Anorexie dargestellt. Die allmähliche Wiederaneignung des Körpers, das Spüren und Entdecken des libidinösen Körpers (C. Dejours 2022) mit seinen Grenzen und Möglichkeiten, so zeigt es sich, öffnet einen Weg aus der Isolation der Anorexie.
Dr. med. Günter Lempa
Interpretation und/oder Interaktion? - Überlegungen zur Behandlungstechnik bei schizophrenen Psychosen
Konzepte zur psychoanalytischen Psychosentheorie verweisen in weitgehender Übereinstimmung auf ein basales Problem bei der Schizophrenie. Man findet Begriffe wie Antagonismus zwischen Narzissmus und Objekt, Dilemma zwischen selbstbezogenen und objektbezogenen Tendenzen oder Allergie gegen das Objekt. In dem Vortrag werden interpretative und ausführlicher interaktive Interventionen, die entwickelt wurden, um diese Grundproblematik therapeutisch zu beeinflussen, gegenüber gestellt. Übertragungsdeutungen in der Tradition von Klein und Nachfolgern gehen davon aus, dass die PatientInnen auf Grund eines nicht psychotischen Persönlichkeitsanteils durch Deutungen prinzipiell erreichbar sind. Die interaktiven Interventionen sehen dagegen bereits die Beziehungsaufnahme, den primären Kontakt als gescheitert an. Entsprechend wird hier zuerst versucht die instabile und zwischen den Extremen Fusion oder völliger Objektverlust oszillierende Situation zwischen Ich und Anderer (Objekt) so zu transformieren, dass eine belastbare Verbindung zwischen einem abgegrenztes Ich und einem abgegrenzten Objekt möglich wird. Dadurch entstehen die Voraussetzungen für die Anwendung von Rekonstruktionen und Interpretationen. Die therapeutischen Instrumente dieses Vorgehens werden im Einzelnen beschrieben und an Hand von Fallbeispielen verdeutlicht.
Dipl.-Psych. Martin Zandanell
Perversion der Einsamkeit. - Analytisches Arbeiten mit dem Negativen, dem Verweis auf das, was fehlt.
Was führt Menschen mit einer Perversion in unsere Behandlung? - In meinen Augen ist ein maßgeblicher Aspekt >die Einsamkeit<, das Nicht-Gelingen-von-Beziehungen, bis hin zu dem schleichenden Weg der Delinquenz, der in seiner Bestrafung wiederum die Erfahrung der Einsamkeit in sich birgt.
Das, was in unserer Zeit als BDSM bezeichnet wird, ist nur ein nicht-deviantes, sexuelles Spiel. - Das eigentlich Perverse, die Devianz, kann nicht gelingen und nicht enden. Es ist fixierte Reinszenierung-, und damit Versuch der Bewältigung früher Einsamkeitserfahrungen, im Sinne der gegen das Selbst erfahrenen Aggression.
Dennoch muss uns auch das zunehmende sexuelle Spiel im Internet interessieren. Liefert es doch häufig auch eine perverse Anmutung der Loslösung vom spürbaren Kontakt zum Gegenüber, zum Objekt. Hier ist es wichtig zwischen Perversion -versus- sexueller Überbeschäftigung, als Ausdruck von Rückzug oder Individualismus und Narzissmus, zu differenzieren.
Doch was ist mit der Behandlung der Perversion? - Ob aus eigener Veranlassung, durch Außen, oder das Gefängnis, kann sie überhaupt enden? Stellt sich mit dem Ende doch wieder der Blick in die Einsamkeit ein, in Anbetracht eines Symptoms, das in der Regel nicht losgelassen werden will. Nicht die existenten, lebendigen Objekte scheinen besetzt, sondern die nicht existenten, die Leere selbst.
Maria Dickmeis
Verordnete Einsamkeit: Das Trauma der Kurkinder
Mindestens 10 Millionen Kinder wurden in den Jahren 1950-1990 in sogenannte Kinderkuren und Kinderheilstätten verschickt.
Viele von ihnen kehrten statt gesund, schwer traumatisiert nach Hause zurück. Wer sich trotz Drohungen des Heimpersonals traute, von den erlebten Demütigungen und der Gewalt in der Kur zu berichteten, dem wurde meist nicht geglaubt. Die Betroffenen gingen in die innere Immigration, verloren das Vertrauen in Familie, Ärzt:innen und Amtspersonen. Sie wurden zu einsamen Menschen. Wissenschaftliche Studien belegen eine signifikant erhöhte Depressionsrate und schwere psychosomatische Folgeschäden. In der Therapie werden ihre Leiden bis heute oft nicht erkannt und berücksichtigt, nicht selten ignoriert.
Ziel des Kurzinputs ist, über die Folgen der Kinderverschickung für die individuelle Lebensgeschichte zu informieren und sensibilisieren. Posttraumatisches Wachstum ist vor allem dann möglich, wenn historische und biografische Gegebenheiten berücksichtigt werden und das Bedürfnis der Betroffenen nach Anerkennung des Leids durch die Gesellschaft gesehen und aktiv unterstützt wird.
PV 2.2 Einsamkeit im Kontext struktureller Traumatisierungen an Beispielen aus der DDR
Dr. rer. hum. Eva Flemming
Die langen Schatten emotionaler Deprivation – ausgewählte Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Bindung und seelische Gesundheit ehemaliger Wochenkrippenkinder“
Wochenkrippen waren Einrichtungen des Krippensystems in der DDR, in denen Säuglinge und Kleinkinder durchgängig von Montag bis Freitag (Tag und Nacht) betreut wurden und nur das Wochenende bei der Familie verbrachten. Obwohl zeitgenössische Studien bereits Entwicklungsdefizite der wochenweise betreuten Kinder im Vergleich zu Tageskrippenkindern nachwiesen, sind die Langzeitfolgen dieser Betreuungsform für die sozioemotionale Entwicklung weitgehend unbekannt. Das Forschungsprojekt untersuchte N = 330 Personen ( Alter: M = 55.3 Jahre; 76.7 % weiblich), die als Kleinkinder in einer Wochenkrippe betreut worden waren hinsichtlich ihrer psychischen Gesundheit und Bindung. Dabei wurden sowohl Selbstbeurteilungsfragebögen, als auch vertiefende Interviews zur klinischen Diagnostik und zur Bindungsdiagnostik (Adult Attachment Interview) eingesetzt. Als Vergleichspersonen wurden a) ehemalige DDR-Tageskrippenkinder und b) Personen, die in der DDR geboren und in den ersten drei Lebensjahren ausschließlich in der Familie betreut worden waren, befragt. Im Rahmen des Vortrags werden ausgewählte Ergebnisse der Studie vorgestellt und in den bisherigen Forschungsstand eingeordnet, als auch hinsichtlich der methodischen Limitationen diskutiert.
Dr. Antje Beronneau
Wochenkrippen in der DDR - eine psychoanalytische Betrachtung der seelischen Folgen
In den Wochenkrippen der DDR wurden von 1958-1992 ca. 500.000 Säuglinge ab einem Alter von sechs Wochen Montag früh gebracht und durchgängig 5-6 Tage in der Woche betreut. Die Entwicklungsbedingungen in den Wochenkrippen können als verwahrlosend und insgesamt ungünstig bezeichnet werden und sind mit einer Heimunterbringung zu vergleichen. Die Folgen dieser Traumatisierungen zeigen sich oft erst in der Mitte des Lebens oder gar in der nächsten Generation. Bis heute werden diesbezügliche Traumatisierungen nicht als Leid anerkannt oder verstanden.
Aber was passiert seelisch in den Kindern, wenn „Mutti früh zur Arbeit geht“? Psychoanalytisch betrachtet kann die emotionale Erfahrung des Weggehens der Mutter zur Arbeit und die damit vorhandenen Trennungsgefühle des Kindes nicht isoliert von der Beziehung zur Mutter gedacht werden. Winnicott formuliert diesbezüglich den berühmten und viel zitierten Satz: »There is no such thing as a baby«. Welche seelischen Folgen haben die ehemaligen Wochenkrippenkinder heute zu tragen und wie lassen sich diese psychoanalytisch konzeptualisieren? Anhand von unterschiedlichem Archiv-Videomaterial und Berichten von Zeitzeugen möchte ich die vielschichtige Problematik dieser Sozialisation im Krippensystem der DDR und deren Folgen veranschaulichen und darüber psychoanalytisch nachdenken.
Dr. med. Agathe Israel
Ein Nichts im Nirgendwo- Selbsterleben und Therapie eines ehemaligen Wochenkrippenkindes
Die analytische Psychotherapie eines ehemaligen `Wochenkrippenkindes` wird veranschaulichen, wie frühe institutionelle Fremdbetreuung verbunden mit der Trennung von Mutter und Familie, die die zeitliche Vorstellungsfähigkeit des Kindes überschreitet, sich lebenslang auswirkte auf die Konstruktion der Psyche, auf die neuronalen Entwicklung sowie seine Fähigkeiten, Realität und Beziehungen zu bewältigen. Sequenzen aus dem Therapieprozess skizzieren sein präverbales Erleben, frühe Traumatisierungen und die Selbst-Entwicklung des Patienten. Erinnerungen aus dem Körper-und Gefühlsgedächtnis, die Leerstelle ungelebter dyadischer Erfahrung sowie Seins-Ängste gelangen entlang spezifischer Übertragungskonstellation ins Bewusstsein und müssen sich nicht mehr in körperlich-mentalen Dissoziationen manifestieren. Zunehmend reflektiert er seine frühinfantilen symbiotischen Bedürfnisse und die damit verbundenen Sehnsüchte, Ambivalenzen, Konflikte und kann sich triadisch-ödipalen Beziehungen zuwenden. Obwohl seine Identität gewachsen ist, müssen abschließend Möglichkeiten und Grenzen der Wandlung diskutiert werden.
Dr. med. Karl-Heinz Bomberg
Politische Traumatisierung und Einsamkeit
Die Traumafolgestörungen bei ehemaligen politischen Häftlingen und anderen Betroffenengruppen der DDR sind wie eine Grunderkrankung zu behandeln. In der Corona-Pandemie fühlten sie sich an die Repressionen der DDR-Zeit erinnert, die Kriege in der Ukraine und in Israel sind Triggersituationen, und Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein werden reaktiviert. Einige der Betroffenen sind zudem einsam. Manche kämpfen dagegen an, manche haben sich damit abgefunden. An Fallbeispielen aus meiner Praxis soll zunächst die Realität der Einsamkeit analytisch ergründet werden. Sozialer Rückzug, Schamgefühle und Misstrauen sind wesentliche Punkte für die Vereinsamung. Dann kommen analytische Therapiemöglichkeiten aus der Gruppen- und Einzelbehandlung zur Darstellung.
Literatur:
Bomberg, Karl-Heinz: Seelischen Narben. Psychosozial-Verlag Gießen 2021
Bomberg, Karl-Heinz: Was Menschen Menschen antun. Psychosozial-Verlag Gießen 2024
PV 2.3 Einsamkeit in Kunst, Literatur und Film
Dipl.-Psych. Ulrike Michels-Vermeulen
„Endlose, weite Kornfelder unter trüben Himmeln…“ Zur Einsamkeit im Leben und Schaffen Vincent van Goghs
„Es sind endlose weite Kornfelder unter trüben Himmeln, und ich habe mich nicht gescheut, Traurigkeit und äußerste Einsamkeit auszudrücken zu versuchen“
schreibt der Maler im Juli 1890, wenige Tage vor seinem Tod.
Geboren am 30. März 1853, auf den Tag genau ein Jahr nach dem tot geborenen, gleichnamigen Bruder, beginnt sein Dasein mit der schier unlösbaren Aufgabe, den strenggläubigen Eltern den Erstgeborenen zu ersetzen.
Zeit seines Lebens fühlt er sich ausgeschlossen, kann nirgends ankommen. Seine Bilder und Tagebücher bezeugen eine lebenslange Traurigkeit und Einsamkeit, ebenso wie einen Menschen mit großem sozialem Feingefühl, Sehnsucht nach Freundschaft und tiefer Religiosität.
Wer war dieser Mann, dessen Werke sich zu Lebzeiten kaum verkauften, der posthum die Malerei revolutionierte und großen Einfluss bis heute nimmt? Was erzählen uns seine intensiven Bilder über seine innere Verfasstheit, wie versteht sich ihre Leuchtkraft gegenüber seiner inneren Tristesse? Für van Gogh scheint Einsamkeit mehr zu sein denn schwere Last und dunkler Schatten seiner Seele. Sie ist gleichfalls Triebfeder, Atelier, Werkzeug und sogar das Sujet seiner Schaffenskraft. Psychoanalytische Theorien laden dazu ein, das Leben und Wirken van Goghs aus dieser Perspektive zu erkunden.
Dr. med. Christa Pawlofsky
Yayoi Kusama und Hildegard Wohlgemuth – zwei schizophrene Künstlerinnen. Kunst als ein Weg aus der psychotischen Isolation. Kunst als Sprache, die verstanden werden kann, ohne sie erlernt zu haben und ohne sie selbst zu sprechen.
„Ich bin schizophren. Wenn ich male kann ich am Leben bleiben, und das was in mir tobt aushalten, ohne mir den Tod geben zu müssen.“
So die radikale Botschaft der beiden Künstlerinnen. Ihre Arbeiten sind Einblicke in schwerste traumatische Lebenserfahrungen und psychotisches Erleben und dabei großartige Kunst, faszinierend, überzeugend und ungeheuer kraftvoll. Sie zeigen die psychotische innere Welt an der Grenze dessen was ein Mensch ertragen kann und zugleich eine überbordende Schaffenskraft und Farbigkeit mit dem Wunsch durch die Werke in Kontakt zu kommen mit der Außenwelt. Auf dem Hintergrund der beiden Biografien wird der Versuch gemacht, psychotisches Erleben als Bewältigung von schwerer und repetitiver Traumatisierung und Isolation zu verstehen und künstlerisches Schaffen als Brücke und Verbindung zur äußeren Welt.
Dr. phil. Dr. rer. pol. habil. Siegline Eva Tömmel
Literarische Figuren der Einsamkeit: Han Kang. Nobelpreisträgerin für Literatur 2024
Die Nobelpreisträgerin für Literatur 2024 fordert nicht nur das Verständnis von Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytikern heraus, denn Helden und Heldinnen ihrer Werke sind nicht leicht zu verstehen. Das liegt nicht nur an der für Europäer meist fernen südkoreanischen Kultur, die sich dem literarischen Verständnis nicht einfach erschließt.
Die Hauptfiguren ihrer bisher veröffentlichten Romane Die Vegetarierin, Deine kalten Hände, Weiß, Menschenwerk, Unmöglicher Abschied bewegen sich unauffällig in der Geschichte der Menschheit, hinterlassen kaum Spuren. Es sind in sich gekehrte einsame Menschen, die versuchen, sich ihres Lebens auf mehr oder weniger komplizierte Weise zu entledigen. Sie verlassen den oder die Anderen, sie lieben und hassen nicht, scheinen nur zufällig zu den Lebenden zu gehören.
Die Aufeinanderfolge der Veröffentlichungen zeigt aber auch, wie Han Kang selbst, im Verlauf des Schreibens, „gesünder“ wird: Eine nicht seltene Entwicklung schreibender Künstler.
Warum wurde die Dichterin preisgekrönt? Abgesehen von der Gepflogenheit, Nobelpreise für Literatur nach Geschlecht, Länder- und Erdteil-spezifischen Quotenschlüsseln zu vergeben: Ihre Romane sind vermutlich derzeit das literarische Paradigma für hochsensible, einsame, auch psychisch kranke Individuen in einer von Gewalt, Grausamkeit und Krisen geschüttelten Welt. Han Kang hat mit ihrer sehr weiblichen, sensiblen und wahrnehmungsstarken Stimme jedenfalls die Weltöffentlichkeit erreicht.
Dr. med. Kamyar Nowidi
Bret Easton Ellis American Psycho and Hitchcocks Psycho: Vereinsamung, Entfremdung, Ikonographie einer modernen Psychopathie oder das Erbe des amerikanischen Transzendentalismus?
American Psycho und Hitchcocks Psycho spiegeln sich ineinander und entwerfen in Folge Zerrspiegel moderner Begehrlichkeiten nach Subjektwerdung, Identität, totaler Vereinsamung und Isolation, wobei sie gleichzeitig das Ende des amerikanischen Traumes symbolisieren. Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis Romanvorlage übertrifft bei weitem Norman Bates aus Hitchcocks-50-Jahre Klassiker an Grausamkeit und Psychopathie und verstrickt den Zuschauer in eine verstörende Dialektik von Subjektwerdung, Isolation und Narzissmus. Vor dem Hintergrund von Psychoanalyse und Transzendentalismus wird das amerikanische Sittengemälde der Moderne dekonstruiert und neu beleuchtet.
PV 2.4 Forschungsforum
Dr. med. Elisabeth Fenner
Das Einsamkeitserleben von onkolgisch Erkrankten während der Coronapandemie.
Es wurden zwischen Anfang 2020 bis Ende 2021 rund 200 stationäre Patient-innen von mir im psychoonkologischen Konsildienst der medizinischen Universitätsklinik Hamburg Eppendorf (UKE) gesehen.
Während v. a. im Jahr 2021 die meisten Angehörigen vom Krankenbesuch ausgeschlossen waren, habe ich meine Tätigkeit durchgängig fortgesetzt und war eine wichtige Gesprächspartnerin für die Patient-innen in präsenter Form.
Viele onkologische Patient-innen berichteten von der belastenden Einsamkeit, die durch strenge Isolationsmaßnahmen und Besuchsverbote im Krankenhaus verstärkt wurde. Viele sahen die Krebsbehandlung in Gefahr und hatten Angst, dass Verzögerungen ihre Heilungschancen beeinträchtigen würden.
Die Patient-innen, welche ich in eine langfristige psychotherapeutische Behandlung in unsere Ambulanz übernommen habe, untersuchte ich in qualitativer Form. Unter psychoanalytischen Gesichtspunkten wird deutlich, wie sehr die Erlebnisse von Isolation, Angst und Depression ihren Widerhall finden in früheren Verlusterlebnissen mit entsprechenden Abwehrformen, die über das gesamte Leben trugen und in der jetzigen Gefahrensituation nicht mehr stabilisierten. Viele der Patient-innen waren mit den kindlichen Erinnerungen konfrontiert, mit denen sie sich aktuell bewusst auseinandersetzen konnten.
Prof. Dr. rer. nat. Silke Wiegand-Grefe
Gemeinsam statt Einsam (GemsE) - ein Pilotprojekt für Senioren und Kindern und Jugendlichen psychisch kranker Eltern zur gemeinsamen Bewältigung von Einsamkeit und Armut
Dr. med. Kathryn Eichhorn
Einsame Trauer: Erfahrungen von Männern nach Fehl- und Totgeburten
Schwangerschaftsverluste gelten als hochbelastende Ereignisse, deren Auswirkungen auf Männer bislang wenig erforscht sind. Erste Hinweise zeigen jedoch auch bei Männern erhebliche psychische Belastungen, insbesondere depressive Symptome.
Mit 30 Männern (26–46 Jahre), deren Partnerinnen in den letzten 12 Monaten eine Fehl- oder Totgeburt erlitten hatten, wurden strukturierte Interviews durchgeführt. Erfasst wurden subjektives Erleben, Belastung (Skala 0–10), depressive Symptome (PHQ) sowie Männerspezifische Depressionssymptome (GMDS). Die Datenauswertung erfolgte qualitativ und deskriptiv-korrelativ. Erste Ergebnisse zeigen eine Doppelbelastung: Männer berichten einen inneren Anspruch, „stark“ für die Partnerin sein zu müssen, während sie zugleich ihren eigenen Trauerprozess oft allein bewältigen. Es zeigten sich signifikante Zusammenhänge zwischen subjektiver Belastung und depressiver Symptomatik (PHQ: r = .45; GMDS: r = .41). Die GMDS identifizierte mehr Betroffene als der PHQ.
Aus psychodynamischer Sicht erscheint die Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis zwischen äußerer Stärke und innerer Verletzlichkeit zentral, da ein inadäquater Umgang hiermit langfristig psychisches Leid begünstigen kann. Besonders die Reflexion männlicher Rollenintrojekte, früher Beziehungserfahrungen und internalisierter Rollenerwartungen könnte helfen, einsame Trauer in einen fruchtbaren Verarbeitungsprozess zu überführen.
Dr. phil. Johanna Behringer
Zur Entstehung von strukturellen Einschränkungen und Einsamkeit bei Jugendlichen auf der Grundlage früher Beziehungserfahrungen: eine Längsschnittstudie über 17 Jahre
Gemäß psychodynamischen Annahmen entstehen strukturelle Fähigkeiten, bzw. in ICD-11-Terminologie „Persönlichkeitsfunktionen“, aus frühen Beziehungserfahrungen und beeinflussen die psychische Gesundheit. Diese Fähigkeiten werden in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD-3) und OPD im Kindes- und Jugendalter (OPD-KJ-2) in den Bereichen Wahrnehmung, Steuerung, Identität, Kommunikation/Interpersonalität und Bindung analysiert. Wenige amerikanische Längsschnittstudien zeigen prospektiv, dass frühe Beziehungserfahrungen den Schweregrad von Persönlichkeitsstörungen vorhersagen können, beziehen sich aber nicht auf die psychische Struktur und die darunter gefassten Fähigkeiten (z.B. Carlson et al., 2009).
Eine 2007 mit 74 Elternpaaren begonnene Längsschnittstudie (Behringer, Reiner & Spangler, 2011) untersucht prospektiv die Entwicklung dieser Fähigkeiten und ihren Zusammenhang mit Einsamkeit, basierend auf mütterlicher Feinfühligkeit (1969), die mit sechs Monaten in Verhaltensbeobachtungen erfasst wurde. Mit 17 Jahren wurden aus der OPD-KJ der OPD-KJ-Strukturfragebogen (Akin et al., 2023; Schrobildgen et al., 2019) und das OPD-KJ-Interview (Arbeitskreis OPD-KJ, 2020) sowie der Fragebogen für Jugendliche (Youth Self Report YSR; Döpfner et al., 2014) und der Einsamkeitsfragebogen (Gierveld & van Tilburg, 2006) verwendet.
Erste Analysen bestätigen, dass mütterliche Feinfühligkeit strukturelle Einschränkungen Jugendlicher vorhersagt. Die OPD-KJ-Bereiche Bindung und Identität vermitteln die Zusammenhänge zwischen der mütterlichen Feinfühligkeit einerseits und dem Erleben von Einsamkeit sowie Depressivität andererseits. Weitere Ergebnisse werden auf der Tagung präsentiert, darunter Aspekte aus den OPD-KJ-Interviews.
PV 2.5 Genderforum: Sexualität und Geschlecht
Ceren Doğan
Ödipus* - Übertragungs- Gegenübertragungsdynamiken jenseits heteronormer Begehrensstrukturen
Ausgehend von einer Erweiterung des Konzepts des klassisch-freudianischen Ödipuskomplexes wird in diesem Vortrag diskutiert, welche inneren Voraussetzungen Analytiker*innen mitbringen müssen, um ein lebendiges, erotisiertes Übertragungs- und Gegenübertagungsgeschehen jenseits heterosexueller Begehrensverhältnisse zu ermöglichen. Anhand zweier klinischer Fallvignetten wird aufgezeigt, wie sich ödipale Konflikte auch dann entfalten und durcharbeiten lassen, wenn Begehren und Geschlechtlichkeit nicht heteronorm aufeinander abgestimmt sind. Zentral ist dabei das Konzept der „inneren sexuellen Diversität“ (Doğan, 2024) – verstanden als eine innere Bereitschaft, die Grenzen der eigenen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität temporär zu überschreiten und sich auf das „Begehrensangebot“ von Analysand*innen in einer spielerisch-phantasmatischen Art einzulassen. Damit eröffnen sich neue Räume für das Verständnis und die Bearbeitung ödipaler Dynamiken jenseits cis-heterosexueller Übertragungsbeziehungen. Der Vortrag schließt mit Überlegungen zur Bedeutung dieser Haltung für eine gendersensible psychoanalytische Praxis.
PV 2.6 AG Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Dipl.-Psych. Erich Limmer, Jürgen Heinz, Dipl.-Psych. Bernd Ochs-Thurner
Workshop: Supportive Elemente in der psychodynamischen Psychotherapie
In dem Seminar (2 mal 1,5 Stunden) werden wir „supportive Interventionen“ in den Mittelpunkt stellen. Zu Beginn geben wir einen Überblick über die Literatur zu supportiven Interventionen in Verbindung mit einer Ressourcenaktivierung.
In Kleingruppen versuchen wir anhand von Fallsequenzen aus unseren Praxisbehandlungen supportive Interventionen und Prozesse zu identifizieren und diese im Kontext unserer psychodynamischen Vorgehens- und Denkweise zu diskutieren: Bei welchen Patientinnen und Patienten, in welchen Therapiesituationen und bei welchen Problemstellungen sind sie sinnvoll und hilfreich? Wie stehen sie mit der Aktivierung von Ressourcen in Verbindung? Unterscheiden sich supportive Prozesse in der analytischen Psychotherapie und in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie?
PV 2.7 Forum der Aus- und Weiterbildungsteilnehmenden
Dr. phil. Marco Schlosser, Anja Steinmetz, Dipl.-Psych. Annelie Sachs
1. Schwangerschaft und Elternschaft während der Aus- und Weiterbildung
2. Zukunft der DGPT und Rolle der AWTs
PV 2.8 Offene AG Vertrauensleute
PV 2.9 Einsamkeit in der Gruppe und die Einsamkeit des Therapeuten
Dr. med. Stephan Alder
Einsamkeit - Zweisamkeit – Dreisamkeit
In meinem Vortrag verfolge ich die Annahme, dass das menschliche Leiden an Einsamkeit mit dysfunktionaler Kommunikation und auf diese Weise mit verinnerlichten pathogenen Interaktionserfahrungen verknüpft ist (Arbeitskreis OPD, 2023, S. 81ff.). Die zunehmende kommunikative Isolation von Individuen einer Gesellschaft fördert Einsamkeit. Das verbindet sich mit polarisierenden und unversöhnlichen intrapsychisch wirksamen Denkmustern, die unterschiedlich kontrastiert nach außen projiziert und dort bekämpft oder bekriegt werden. Arbeit im Homeoffice, vermehrte online Kommunikation auch in Psychotherapien fördern Einsamkeit mehr als sie diese in getragenes, gehaltenes, bezeugt gesehenes, gehörtes und vertrauend anerkanntes Miteinander transformieren kann.
Ein Traum aus einer analytischen Gruppenpsychotherapie, deren Mitglieder chinesische Psychotherapeut:innen sind, illustriert das Wechselverhältnis zwischen individueller und gruppaler Einsamkeit, wobei die beteiligten Personen um Zugehörigkeit und erlebte Zweisamkeit und Dreisamkeit ringen. Wer jedoch glaubt, dass China weit weg sei, irrt. Wir finden diese Vorgänge ebenso in unserer Bundesrepublik.
Ein Beispiel aus einer Einzelpsychotherapie in Deutschland verdeutlicht die Einsamkeit, die von destruktiven Interaktionserfahrungen bestimmt wird und in paradoxer Weise einen wesentlichen Teil des Ichs in destruktive Zweisamkeit und Dreisamkeit zwingt. Archaische sozial-gruppale (archetypische) Muster können mit Robert F. Hobson (1920-1999) als das Spannungsfeld zwischen Zusammengehörigkeit und Einsamkeit konzipiert werden (Hobson, 1964). Welche Wege uns Menschen aus Isolation und Einsamkeit offenstehen, werde ich diskutieren. Frei nach Hermann Hesse: Jedem gemeinsamen Anfang wohnt ein ganz individueller Zauber inne, der uns miteinander sprechend beschützt und der uns hilft zu leben.
Dr. med. Woflgang Krieger
Loneliness and the long-time therapist
Einsamkeit erleben alle Menschen in unterschiedlichem Maße zu verschiedenen Zeiten. Die hohe Zahl von Einsamen in allen Altersgruppen und die erheblichen Auswirkungen von Einsamkeit auf die physische und seelische Gesundheit und Lebensqualität benannte die WHO als gesamtgesellschaftliches Problem und beschloss wie auch die letzte Bundesregierung ein Programm gegen die Einsamkeit. Wie verstehen wir Einsamkeit? Was meinen wir, könnte helfen, Schwierigkeiten im Kontakt und in der Beziehungsfähigkeit zu überwinden? Erleben wir Einsamkeit bei unserer therapeutischen Tätigkeit? Wie gehen wir mit dem Verlassenwerden zum Beispiel am Ende einer Therapie um? Diese Fragen sollen untersucht und mit den Zuhörenden diskutiert werden.
Dipl.-Psych. Volker Münch
Gruppentherapie- und analyse als „extravertierte Individuation“– ein therapeutischer Weg aus der Einsamkeit?
Wie zuletzt Buchholz und Dimitrijevic (2025) bemerken, sollte die Psychoanalyse sich ihrer sozialen Kontexte bewusst werden und Entwicklung vor der Folie gesellschaftlicher und kultureller Prägungen untersuchen. Ein Reader von Storck und Mertens (2025) hat die verschiedenen Perspektiven auf das gesellschaftlich(e) Unbewusste zuletzt zusammengestellt. Die Arbeit in Gruppen, so die These des Autors, ist immer auch indirekt Abbild der Gesellschaft und Arbeit für die Gesellschaft (vgl. Preil, 2024). Die Vernachlässigung kollektiv-psychologischer Anpassungs- und Abwehrprozesse, wie sie auch durch die einerseits Gruppenbildungen ermöglichenden wie Vereinsamung fördernden digitalen Möglichkeiten zum Ausdruck kommen, lässt uns wichtige Einflüsse auf die Herausbildung heutiger seelischer Landschaften und Symptomatiken übersehen. Damit beschäftigte sich jüngst auch die lptw-Tagung in Lindau (therapeutische Beziehung: künstlich oder real?). Es soll gezeigt werden, dass Menschen intrinsisch „gruppal“ strukturiert sind, nur in ihren Kontexten verstanden werden können. Dies führt zu einer ko-konstruktivistischen Perspektive psychischer Entwicklung in Abgrenzung zur rein intrapsychischen Perspektive, der Untersuchung der Dyade oder der Vorstellung einer rein introvertierten Individuation (Jung).
Das Erleben von Unterschiedlichkeit und Verbundenheit in Gruppen ist dabei essentiell (vgl. Nitsun, Dalal). Die Verbindungslinien von gruppenanalytischen Ansätzen (Dalal) und gesellschaftskritischen Analysen (Rosa) sollen verdeutlicht werden. Aus all dem resultiert, dass Gruppensettings weiterhin deutlich gefördert und beforscht werden sollten.
PV 2.10 Psychoanalyse und Film
Ingrid Prassel und Dr. med. Johannes Döser
Stunden der Einsamkeit – aus dem Blickwinkel eines Jahrhunderts.
Eine filmpsychoanalytische Annäherung an Stephen Daldrys Meisterwerk „The Hours“ mit Meryl Streep, Julianne More und Nicole Kidman.
Es gibt eine unsichtbare Einsamkeit, die im Unbewussten wirkt wie eine zersetzende Kraft. Woher kommt sie? Wie kann man ihr begegnen? Wie ihr entkommen? Wie sie bewältigen? Der Verfilmung des preisgekrönten Romans von Michael Cunningam gelingt es auf ergreifende Weise, diesen Fragen Kontur und Antwort zu verleihen. Der Film ist konstruiert wie eine dichte musikalische Fuge und schildert jeweils einen Tag im Leben von drei Frauen in drei Epochen und Orten: 1923 in einem Vorort in London, 1949 in Los Angeles und in der Jahrtausendwende in New York. Jede der drei Frauen liebt und wird geliebt, und findet in der Literatur (als deren Gravitationszentrum Virginia Woolf und ihr Roman Mrs. Dalloway fungiert) eine existentielle Stütze unter der Last des Tages. Aber der Trost einer Stunde hie und da, „in der es uns wider alle Wahrscheinlichkeit und Erwartung so vorkommt, als schäume unser Leben über und schenke uns alles, was wir uns je vorgestellt haben“, reicht nicht aus, der Dunkelheit des Trivialen zu entkommen. Als „Objektverlassenheit“ dringt die Einsamkeit ins Unbewusste verliert so ihre Bezüge zum Ort und zur Zeit. Als ortloses und zeitloses Phänomen zieht sie wie eine subtile, gegen das Leben gerichtete Macht durch die Länder, Epochen und Generationen.