"EINSAMKEIT"

76. DGPT-Jahrestagung in Würzburg, 18. bis 21. September 2025

Einsamkeit wird aktuell als allgegenwärtiges Problem unserer Zeit thematisiert: Beispielsweise die Einsamkeit der Kinder und Jugendlichen, die ihre Tage und Nächte vermeintlich sozial isoliert vor dem Computer verbringen, die Einsamkeit von Migrant:innen, von Sterbenden. Lag der öffentliche Fokus lange auf den Folgen individueller Einsamkeit, so werden heute auch die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen stärker betrachtet: 2018 wurde in Großbritannien eine Ministerin für Einsamkeit ernannt; die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Vereinten Nationen haben die Einsamkeit als weltweite politische Herausforderung aufgegriffen. Die Bundesregierung hat im Dezember 2023 eine „Einsamkeitsstrategie“ und im Mai 2024 ein „Einsamkeitsbarometer“ veröffentlicht, demzufolge seit der Corona-Pandemie das Einsamkeitserleben insbesondere der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zunimmt. Darüber hinaus zeigt sich wohl ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Zustimmung zu autoritären, antidemokratischen Haltungen, dem die Kränkung eines „Ohne-Mich-Gefühls“ (vgl. SZ, 8.8.2024) zugrunde liegen könnte.

Während viele Menschen von sich sagen, auch gerne einmal allein zu sein, erscheint Einsamkeit in der Regel als etwas Problematisches und Erklärungsbedürftiges. Einsamkeitserleben kann eine psychische Erkrankung begleiten und zum Anlass werden, sich psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Wie zeigt sich Einsamkeit in psychoanalytischen oder tiefenpsychologisch fundierten Behandlungen? Als inneres Erleben, das auf die Anderen, die Fremden projiziert wird? Als Zeitstillstand? Als Erleben von Isolation und Leere – auf beiden Seiten der psychoanalytischen Dyade – oder als das Erleben unverbundener Individualität in der Gruppe? Als Einsamkeit der:des Psychoanalytiker:in hinter der Couch? Oder als gefühlte Einsamkeit der:des Psychotherapeut:in und/oder Psychoanalytiker:in angesichts der sich leerenden Couch beim Abschied aus der eigenen Praxis am Ende des Berufslebens?

Einsamkeit kann auch als normative Begleiterin einer Entwicklungsphase gelten, beispielsweise des Jugendalters. Aus psychoanalytischer bzw. gruppenanalytischer Perspektive können wir die Einsamkeit nach dem ihr innewohnendem Rückzug von der Realität befragen, nach der Vorreiterschaft von Individualismus und Narzissmus, nach Ohnmacht und antisozialen Einstellungen. Der Vereinzelung entgegengestellt werden kann die Solidarität als mitfühlende Verbindung zur:zum Anderen.

Uns der Erzählung „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“ erinnernd, entdecken wir die Einsamkeit auch als Voraussetzung für Individuation und Kreativität sowie für das transformative Potenzial der Kunst. Vielleicht ist  Einsamkeitsfähigkeit auch eine notwendige Voraussetzung, um psychoanalytisch arbeiten zu können? Der entwickelten Einsamkeitsfähigkeit gegenüber stehen die mit katastrophischer, namenloser Angst verbundenen Verlassenheits- und Einsamkeitszustände des existenziell angewiesenen Säuglings. Ist innere Einsamkeitsfähigkeit auch eine Voraussetzung, um „gegen den Strom schwimmen zu können“, sich zum Beispiel Großgruppenströmungen nicht zu unterwerfen?

In den Nachbarwissenschaften der Psychoanalyse wird der Einsamkeit eine hohe Bedeutung zugemessen, wenn wir an sozialphilosophische Konzepte denken: Entfremdung (Marx), Verdinglichung (Lukács). Oder an die „Singularisierung“ des Soziologen Reckwitz. Der Soziologe Hartmut Rosa greift den Begriff der „Waldeinsamkeit“ auf, eines in der deutschen Romantik verklärten Ideals des Rückzuges aus einem resonanten Weltbezug. Aus Perspektive von Culture-, Race-, Postcolonial- oder Queer-Studies lässt sich Einsamkeit mit Marginalisierung, Diskriminierung und Kolonialisierung verbinden. 

Wir hoffen, mit diesen Gedanken zu verschiedenen Aspekten der Einsamkeit Ihr Interesse geweckt zu haben und freuen uns sehr auf Ihre Teilnahme. Das genaue Programm und die Anmeldung werden in Kürze an dieser Stelle veröffentlicht.