75. Jahrestagung der DGPT

Referenten

Freitag, 20.09.2024 von 14:00 bis 15:30 Uhr

PV 1.1 Gesellschaft und Familie


Dr. phil. Angelika Ebrecht-Laermann

Attacks on feeling. Zonen von Indolenz im psychosozialen Raum
Am Beispiel von Auszügen aus eigenen Behandlungen sowie anhand öffentlicher Debatten über sexuellen Missbrauch, möchte ich mich dem Angriff auf das Schmerzempfinden nähern, wie es in der Indolenz thematisch ist. Indolenz verstehe ich nicht nur als Gleichgültigkeit gegenüber physischem wie psychischem Schmerz, sondern auch als Quelle einer Zerstörung von Empathie und Mitgefühl. Zunächst möchte ich skizzieren, wie Indolenz im psychischen Raum entsteht, wie Missbrauch und Gewalt das Schmerzempfinden betäuben. In einem zweiten Schritt möchte ich zeigen, wie diese Indolenz sich in öffentlichen Debatten und institutionellem Handeln reproduziert, wie sie dort soziale Verbindungen angreift oder gar zerstört. Das geschieht in der manifesten Absicht, verfemte Gefühle aus dem psychischen wie auch sozialen Raum zu verbannen, verbunden jedoch mit latent Impulsen, sie aufzusuchen und in einem plötzlichen Schrecken und einem (auch lustvollen) Erschrecken zu entfesseln. Auf diese Weise entstehen Zonen von Indolenz, in denen soziale Gefühle wie etwa Mitleid und Empathie außer Kraft gesetzt bzw. betäubt werden, um dann in Durchbrüche extremer Gefühle und (körperlicher) Gewalt umzuschlagen und nur noch mehr Schmerz zu verursachen.

PV 1.2 Gesellschaft


Dr. med. Johannes Döser

Zur Bedeutung des Schmerzes im Zeitalter von social media und künstlicher Intelligenz.

Der Schmerz ist eine der frühesten subjektiven Erfahrungstatsachen in unserer Phylo- und Ontogenese. Keine Erfahrung zeigt uns überzeugender, wie innig das Seelische mit dem Körperlichen verbunden ist als das Erleben von Schmerz. So wie unsere Sinne dem Erkennen unserer Umgebung dienen, so dient der Schmerz dem Wahrnehmen des eigenen Zustands. Er registriert Verletzungen und holt uns immer wieder auf die physischen Leidens- und Lebenstatsachen zurück. Er markiert in unserer Wahrnehmung die Grenze zu traumatischen Reizgrößen und ermöglicht die Herausdifferenzierung des Körpergefühls aus der Wahrnehmungswelt. Wie der Traum als via regia zum Unbewussten kann der Schmerz als via dolorosa zum Ich betrachtet werden. Seit jeher hat der Mensch seinen technischen Erfindungsreichtum mit dem Bemühen verbunden, unerträgliche Schmerzen zu lindern und zu bekämpfen. Mit der digitalen Revolution war auch die Hoffnung verknüpft, der Schmerzlichkeit des analogen Lebens durch Verbesserung der Kommunikation, Bereitstellung von Ressourcen und Verbesserung der medizinischen Behandlung eine schmerzfreiere Zukunft zu bereiten und der Grausamkeit der menschlichen Lebensverhältnisse entgegenzuwirken. Der Blick in die Realität enthüllt jedoch das Gegenteil: der technologisch verdrängte Schmerz kehrt als digitale Grausamkeit in potenzierter Weise ins analoge Leben zurück, nicht zuletzt in der Gestalt des Terrors. Während der hysterische „Arc de cercle“ und der „Konversionsschmerz“ als Aufbegehren des Subjekts gegen die maschinelle Unterdrückung im Zuge der industriellen Revolution gelesen werden könnte, stünde heute - so die Hypothese - der „Phantomschmerz“ paradigmatisch für den Kontaktverlust in den virtuellen Cybersphären: als Symptom der unbewussten Grausamkeiten digitaler Sklaverei und ihrer Simulakren. Aus der Frage, wie die veränderte äußere Realität die innere Wirklichkeit verändert, ergeben sich wichtige Konsequenzen zum psychoanalytischen Umgang und zu den psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten. Eng damit verbunden ist die Frage, was es im Hinblick auf das seelische Erleben bedeutet, wenn die Psychotherapie nur noch im remote modus des digitalen Raumes stattfindet und auf die Realpräsenz zweier Subjekte verzichten zu können glaubt.



Mag. phil. Dr. scient. pth. Christine Korischek

Schmerzhafte Impressionen: Paul Parin und seine Erzählungen über die Jagd
Schmerz wird in seiner Funktion als „sociosomatic reticulum“ als symbolische Brücke (Arthur Kleinman) gesehen und stellt eine Verbindung von Individuen untereinander her. Einerseits werden wir von unserer soziokulturellen Umwelt geprägt, wie wir Schmerz wahrnehmen, erleben und kommunizieren. Andererseits schreiben sich gesellschaftliche Verhältnisse schmerzhaft in unsere Körper ein. Im Beitrag wird anhand Paul Parins (Arzt, Psychoanalytiker, Ethnopsychoanalytiker und Schriftsteller, 1916-2009) Erzählungen über die Jagd der Einrichtung und Verfestigung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen mittels körperlicher Gewalt und Schmerz im Individuum nachgegangen.

PV 1.3 Psychosomatik stationär


Dr. med. Doris Klinger

Chronische Schmerzen unter neurobiologischen und psychosomatischen Aspekten

PV 1.4 Schmerz in Übertragung und Gegenübertragung


Dr. phil. Stephanie Sedlacek

Vom körperlichen zum seelischen Schmerz – und dann?
In der analytischen Praxis bin ich mit zunehmendem Alter und Erfahrung mit älteren Patienten konfrontiert, die an verschiedensten psychosomatischen Erkrankungen leiden. Wenn sich dann die Beziehungsdynamik im Übertragungsgeschehen entfaltet, kommt es häufig zu eindrücklichen Enactments und Aktualisierungen erheblicher frühkindlicher Traumatisierungen, so dass sich die körperliche Problematik in eine seelische verwandelt. Kann eine weitere Verwandlung in bewältigbare und bewältigte Repräsentation gelingen?
Anhand eines Behandlungsverlaufs möchte ich über diese Prozesse nachdenken und darüber, wie sie uns in unseren Behandlungen herausfordern.


Psychoanalytikerin Sarit Kreutzer

Schmerz, Leere und Lebendigkeit in der Gegenübertragung
In diesem Beitrag geht es um eine Gruppe von Patienten, die den Analytiker oder die Analytikerin dazu bringen müssen, Schmerz zu empfinden, um ihren eigenen Schmerz zu kommunizieren. Einige dieser Patienten erlebten ein Trauma, das früh in ihrem Leben geschah und nonverbal gespeichert wurde. Andere erlebten ein Trauma, das so überwältigend war, dass es ein nonverbales Selbsterleben erzeugte, das von anderen verbalen Teilen der Persönlichkeit abgeschnitten war. Für diese Patienten ist die Empfindung körperlichen Schmerzes eine Art, ihre Lebendigkeit zu bestätigen. Klinische Beispiele aus Interventionen in einem akuten Setting und aus der analytischen Arbeit zeigen, wie die intellektuellen und emotionalen Reaktionen des Analytikers auf die Projektionen des Patienten, seine Gegenübertragungsreaktion, zu einer entscheidenden Informationsquelle über die nonverbalen Erfahrungen des Patienten werden. In diesem Beitrag wird die Verwendung der projektiven Identifikation als Mittel zur Kommunikation nonverbaler früher Erfahrungen gezeigt und in Bezug auf Melanie Kleins Theorie der Objektbeziehungen diskutiert.

Über Mich:
Ich bin eine Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin (DPG/IPA/DGPT), Lehranalytikerin (DPG), Mitglied des Lehranalytiker-Beirats der DPG, Gastmitglied der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft.
Ich bin Mitglied und Dozentin des IPNR (Institut für Psychoanalyse Nürnberg-Regensburg) und arbeite in meiner privaten Praxis in Baiersdorf.

PV 1.5 Kulturforum


Dr. med. Kamyar Nowidi

Der Schmerz als neuer medizinischer Diskurs im frühen 20. Jahrhundert
Im Vortrag "Der Schmerz als neuer medizinischer Diskurs im frühen 20. Jahrhundert“ wird anhand einer Re-Lektüre von literarischen und medizinischen Diskursen nachgezeichnet, wie Schmerz und Schmerzempfindung zu einem neuen Topos innerhalb der Moderne geworden sind.

Das frühe 20. Jahrhundert ist eine Kulturepoche, in der die Bedeutung /Metaphorik körperlicher Schmerzen auf vielen Ebenen neu verhandelt wurde und zur Disposition stand. Die neue Literarisierung einer „Sensibilität der Nerven“ und ein alle Lebensbereiche umfassender Diskurs der sogenannten „decadente“ erweiterten kulturphilosophische wie literarische Schmerzdiskurse um ein Vielfaches.

In dem Vortrag wird dargelegt, wie der neue Diskurs es verstand, bis dahin völlig disparate Aspekte vom kulturellen Niedergang, vom Versagen der modernen Naturwissenschaft und vom Schmerz als Katalysator schicksalhafter Kräfte zu bündeln. Die Folge war eine weitreichende Zäsur mit einem naiven Fortschrittsglauben und einer bürgerlichen Welt- und Werteordnung, die den Beginn der Moderne eingeläutet hat.



Dipl.-Psych. Wolfhard H. König

Schmerz – im Spiegel der Mythologie
Verursachung des Schmerzes, Leiden am Schmerz, Scheitern an der Bewältigung des Schmerzes oder Gelingen der Bewältigung des Schmerzes – alles spiegelt uns die Mythologie in eindrücklichen Bildern.
Drei Beispiele:

  1. Brunhilde – die Vater-Tochter, Ablösungsversuch, zu Tode leiden am Schmerz an „den Männern“
  2. Herzeloide – Symbiose und Separation des Parzifal – Parsifal als Narr, Ritter und Sinnsucher/Gottsucher - Überwindung des Schmerzes im Gral – der Gral heilt die „ewige Wunde“
  3. Demeter – Verlust der Tochter Persephone - die 10 Jahre umherwandernde und leidende Mutter – die Akzeptanz von Trennung und Entwicklung (Hades und Zeus)

PV 1.6 Behandlungstechnik


Dr. med. Wolfgang Krieger

Bemerkungen zum Stellen von Fragen
Welche Bedeutung hat in der psychodynamischen Behandlung das Stellen von Fragen? Was meinen Tiefenpsycholog*innen schon zu wissen? Was wollen wir wann von einem/r Patienten/in wissen? Wo fragen wir zu viel, wo zu wenig? Wie stellen wir uns dabei auf den anderen ein oder verhalten wir uns immer gleich entsprechend einer behandlungstechnischen Maxime? Im Vortrag soll die Problematik des Fragens in der Behandlung dargelegt werden und ein differenzierter Standpunkt dargelegt werden.


Michael Froese

Der Analytiker als verwundeter Heiler - Zeitgemäßes zu einem Archetyp
Viele von uns kennen Zeiten, in denen wir auch körperlich auf Belastungen reagieren, die unsere therapeutische Arbeit mit sich bringt. Untersuchungen zur Verletzbarkeit von Psychoanalytikern sind allerdings rar. Am ehesten Werden solche Verwundungen als persönliche Schwierigkeiten begriffen. Offensichtlich halten sich in unserem Beruf hartnäckige Idealisierungen, die dem Verständnis solcher Verletzungen im Wege stehen. MAREN MARODA (2022) hat sich unlängst differenziert mit Ursachen und Hintergründen der Vulnerabilität von Psychotherapeuten auseinandergesetzt.

MARODA geht von einem Widerspruch aus, den sie bei den meisten Psychotherapeuten beobachtet: Einerseits hätten sie früh gelernt, sich in emotional defizitären Beziehungen einfühlsam, helfend, rettend zu engagieren. Das sei in Teilen erfolgreich, oft aber nicht wirklich möglich gewesen. Um es als Erwachsener zu schaffen, würde für manche ein Berufswunsch daraus. Würden solche Prägungen in Ausbildungen nicht gründlich bearbeitet, stellten sie blinde Flecke dar, die zu erheblichen Komplikationen in psychotherapeutischen Prozessen führen können.

Am Beispiel einer schweren Krise, in die der Analytiker der erfolgreichen französischen Serie „EN THERAPIE“ gerät, wird eine solche Konstellation im medialen Spiegel einer Serie gezeigt. Deren Regisseure TOLEDANO und NAKACHE setzen spannend in Szene, was KAREN MARODA als „Krankheit der Therapeuten“ sieht: Gerade das Retter-Komplex, das aus unerfüllten Kindheitsbemühungen stammt, motiviert den Analytiker einerseits dazu ein guter Analytiker zu werden. Man sieht anderseits aber auch, wie genau dieses Phantasma ihn in eine schwere Krise führt. Und man erlebt als Zuschauer erleichtert mit: Erst mit der Demontage seiner eigenen Idealisierung beginnt die „Heilung“ des Analytikers.

Quellen:
Maroda, K (2022) The Analyst´s Vulnerability). Routledge London, New York
Toledano, E u. O Nakache (2019, 2022) EN THERAPIE. Französische Variante der israelischen Serie BE TIPUL (2015). ARTE-Fernsehserie, Folgen 1 und 2 Paris 2

PV 1.7 Der Schmerz


Dipl.-Soz. Dipl.-Päd. Tanja-Maria Müller

Die Beobachtung des Babys im Rahmen von SKEPT (Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie) - Psychoanalytische Überlegungen anhand von Fallvignetten von Babys mit Frühgeburtlichkeit und invasiv-medizinischer Notfallversorgung
Frühgeburt, lebensnotwendige chirurgische Eingriffe, monatelanger Aufenthalt auf der Säuglingsintensivstation, Beatmung, Sondenernährung, Todesängste, Hilflosigkeit und Überforderung, Tage und Nächte des Bangens. Wie lässt sich ein Zugang zum psychischen Erleben dieser archaischen medizinischen Lebenserhaltungsmaßnahmen finden? Wie kann man sich der Erfahrungswelt der zu früh geborenen Babys annähern?
Anhand von Fallvignetten verschiedener SKEPT Behandlungen mit Frühchen, soll diese Frage diskutiert werden. Die Säuglingsbeobachtung, die auch zentraler Bestandteil der SKEPT Behandlungen ist, ermöglicht einen Zugang zum psychischen Erleben über die Beobachtung des Babys und der Beobachtung der Beziehung mit seiner Mutter/seinen Eltern. Wie zeigt sich der Schmerz und der Umgang des Babys damit? Was bedeutet die Frühgeburtlichkeit aus psychoanalytischer Sicht unter der Perspektive entwicklungspsychologischer Fragen? Frühgeborene Babys sind zu früh auf sich selbst gestellt. Wie zeigt sich dieser frühe Verlust der Geborgenheit und Beziehung in der Mutter-Kind-Einheit in der Interaktion zwischen Eltern und Kind? Die zu frühe Geburt erzeugt unterschiedlichen Schmerz bei dem Säugling, seinen Eltern und der Beziehung zwischen Ihnen. Auf der Grundlage eines Impulsreferates soll es Raum für die gemeinsame Diskussion geben.

PV 1.8 Verleugneter Schmerz


Dr. phil. Christian Maier

Seelischer und körperlicher Schmerz, traumatische und psychotische Angst.
Der Vortrag verfolgt die Absicht, die Verarbeitung von unerträglichem seelischem Schmerz beiPsychose und Trauma darzustellen. Zentral dabei ist die Rolle, die den tiefsten Ängsten zukommt: die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede bei Psychose und Trauma werden beschrieben. Schlussendlich geht es um eine grundlegende Bedingung der Conditio humana, die uns alle betrifft.

PV 1.9 Schmerz und Identität


Dr. phil. Elisabeth Imhorst

Schmerz im Kontext von Genderdysphorie und Identitätsdiffusion
Trans Phänomene und Non-Binarität sind ein Thema in vielen Praxen geworden und verunsichern viele von uns. Als Psychoanalytiker:innen sind wir gefordert, einerseits um den gesellschaftlichen und juristischen Kontext zu wissen, der für trans Menschen relevant ist, andererseits in der Behandlung einen Denkraum offen zu halten, damit sich die individuelle Konfliktlage der Patient:innen, die sich als trans oder non-binär vorstellen, entfalten kann.
Zu uns kommen nicht nur Patient:innen, die eine Begleit-Therapie suchen und ein Attest für Hormonbehandlung und/oder Operation erwarten, sondern auch Patient:innen, die in ihrer Identität basal verunsichert sind, was wir seit Erikson Identitätsdiffusion nennen, und die dann nicht selten auch verunsichert sind bzgl. ihres Trans-seins.
Ich möchte anhand von Stundensequenzen aus der Behandlung eines 14jährigen trans Jungen, der chronisch depersonalisiert war und in seinem Kopf, aber nicht in seinem Körper lebte, aufzeigen, wie sich seine intellektuell entwickelte Erkenntnis, trans zu sein, in einen überwältigenden Schmerz transformierte, wie sehr sein Körper und sein Körperbild auseinanderfielen.

Dieser Schmerz war mit großem Unglück, aber auch mit einem beginnenden Gefühl, lebendig zu sein, verbunden. Das fand er, zu meiner Überraschung, gut, obwohl sich da noch kein Weg abzeichnete, wie es weitergehen würde.

PV 1.10 Transgenerationaler Schmerz


Dr. phil. Gregor Luks und Dr. phil. Markus Fellner

Transgenerationale Traumatisierung und „annäherndes Verstehen“ im Diskurs nach dem Holocaust
Ausgehend von psychoanalytischen Perspektiven auf kollektive Prozesse und einem interdisziplinären Überblick über die Begriffe des kollektiven Traumas, kollektiver Identität und transgenerationaler Weitergabe von Traumata geht es in diesem Workshop um die jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen in Deutschland nach 1945 bzw. um einen Brückenbau zwischen jüdischem und nichtjüdischem Diskurs nach dem Holocaust. Das psychoanalytisch orientierte Konzept des „annähernden Verstehens“ trotz gänzlich unterschiedlicher Erfahrungs- und Gefühlshorizonte zwischen beiden Gruppen (Juden und Nichtjuden in Deutschland nach 1945) dient hierfür als Grundlage. Die Gefahr der Nivellierung der Unterschiede muss dabei stets im Blick behalten werden. Das für immer Trennende muss bestehen bleiben. Welche Parallelen und Unterschiede gibt es in der Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur auf beiden Seiten? Welche Themen und Gefühle haben sich transgenerational auf andere Generationen übertragen? Wie können diese Formen der Weitergabe begriffen und bearbeitet werden?

Referenten

Samstag, 21.09.2024 von 14:30 bis 18:00 Uhr

PV 2.1 Somatoformer Schmerz in der Praxis


Dipl.-Psych. Mechtild Kessler

Was schmerzt, wenn der Bauch schmerzt? Der Bauch als Vorstellungs-Ort körperlich-seelischen Erlebens.
Dieser Vortrag soll dazu einladen die unspezifische Körperregion des Bauches mit dessen vieldeutigen Bauchschmerzen in den Fokus zu nehmen. Klagen Patientinnen oder Patienten über Bauchschmerzen, so beginnt oftmals ein Suchprozess, was genau da eigentlich schmerzt und welche Vorstellungen und Gefühle damit verbunden sein könnten. Entlang eines psychoanalytischen Behandlungsverlaufs wird dargestellt, wie Bauchschmerzen und die damit verbundenen Vorstellungen der Körpermitte einer primären Körpererfahrung und frühen Objektbeziehung Raum und Ausdruck verleihen.


Mathias Hirsch

Der Schmerz als „alter Freund“, als treuer Begleiter
Natürlich möchte der Schmerzpatient seine Schmerzen verlieren. Wie alle psychogenen Symptome aber dürften sie ein kleineres Übel sein im Vergleich zu einem größeren, wenn auch unbekannten, unbewussten. Bei vielen Schmerzpatienten kann man beobachten, dass durch den Schmerz der Körper spürbar wird, er existiert durch den Schmerz, er ist präsent und wird dadurch sozusagen zum Begleiter, und dementsprechend erfährt man besonders in länger dauernden Therapien, dass die Patientinnen und Patienten schon einmal dabei, dass sie ihren Schmerz behalten möchten, von ihm nicht allein gelassen werden möchten. Versteht man den eigenen Körper als Objekt, wird der schmerzende Körper zu einem Begleiter, da er durch den Schmerz ein Existenzgefühl gewährleistet. Der Gedanke liegt nahe, dass der Körper dann an die Stelle eines Objekts, eines Liebesobjekts, letztlich an die Stelle der Primärobjekte treten kann, die es allerdings nicht immer gut gemeint haben mit dem Kind von damals – der Schmerz ist ja nun auch kein besonders positives Gefühl. Der Schmerz stellt eine Verbindung zu einem ambivalent geliebten und gehassten Objekt dar, namentlich eine Verbindung zwischen Opfer und Täter. Der Schmerz wäre eine somatisierte Identifikation mit dem Aggressor, und das größere Übel wäre die Angst vor einem drohenden Objektverlust, die durch den Schmerz abgewehrt wird.


Dipl.-Psych. Jürgen Golombek

Die Schmerzen sind’s, die ich zu Hilfe rufe, Denn es sind Freunde, Gutes raten sie. – über schmerzhafte Prozesse psychoanalytischer Behandlungen von Schmerzen.
Während schmerzhafte Erfahrungen als Ausdruck psychischer Empfindungen oft integraler Bestandteil psychoanalytischer Erklärungsansätze sind, ist der Schmerz als Ausdruck einer primär erlebten körperlichen Symptomatik weniger Gegenstand. Freuds Verdienst ist es, im Konversionsmodell körperliche Schmerzen aus primär seelischen Schmerzen abgeleitet zu haben und in späteren Schriften körperlichen Schmerzstellen eine psychische Repräsentanz zugesprochen zu haben. Er hat aber keine eigenständige, auf psychoanalytischer Theorienbildung basierende Schmerztheorie entwickelt.  Wenn es auch in der Folgezeit zur Entwicklung psychosomatischer Erklärungsmodelle kam, fand die Weiterentwicklung psychoanalytischer Theorien- und Behandlungsansätze des psychogenen und chronischen Schmerzes weniger Beachtung, was auch mit dem Verhältnis der Psychoanalyse zum Körper zusammenhängt. Der Vortrag versucht eine Annäherung, wie die Entstehung von Schmerzen psychoanalytisch verstanden werden kann. Es ist davon auszugehen, dass die Schmerzen einerseits wenig psychische Repräsentanz aufweisen, gleichzeitig Ausdruck bindender Affektvorgänge sind. Da Schmerzen in sich Abwehrkräfte tragen, ist eine Rückübersetzung vom Körperlichen zum Psychischen erschwert. Die integritätswahrende Funktion der Körpersymptomatik bedarf neuer strukturbildender Verknüpfungen in den Repräsentationssystemen, um dem Schmerz eine neue regulierende Bedeutung zuzuführen. Wie diese erforderlichen Transformationen gelingen können, stellt der Beitrag an Behandlungsfällen dar und stellt einen modifizierten analytischen Ansatz vor.

PV 2.2 Früher Schmerz


Dr. med. Angela Köhler-Weisker

Die Behandlung der postpartalen Depression der Mutter zusammen mit ihrem Baby mit der analytischen Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT)
Bis zu 20-30%, je nachdem welche Kriterien angelegt werden, aller Mütter leiden unter einer postpartalen Depression. Insofern spielt sie bei uns eine bedeutende Rolle, die berechtigterweise immer mehr Beachtung findet. Die möglichen Folgen für das Kind sehen wir täglich in unserer Babyambulanz in Form von Regulationsstörungen und später in der analytischen Praxis mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit depressiven Erkrankungen. Nicht nur die Babys bedürfen einer Behandlung, sondern auch die depressiven Mütter. Die optimale Behandlung beider bietet die analytische Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie, wenn sie das Verstehen auf beide Patienten richtet: das leidende Baby und die leidende Mutter. Das erforderliche spezifische Vorgehen in dieser analytischen Psychotherapie, möglichst mit zwei TherapeutInnen, wird dargestellt. Damit wird gezeigt, dass die SKEPT ein zentral wichtiges präventives Instrument ist. Vielfältige Ursachen der postpartalen Depression werden beschrieben. Eine Akzentuierung deren möglicher Pathogenität für die Mutter erfolgt durch den Vergleich unserer sozioökonomischen Gegebenheiten, in die Mutterschaft eingebettet ist, mit denen einer traditionellen Nomadengesellschaft, in der das Krankheitsbild der postpartalen Depression keine Rolle spielt.


Dipl.-Psych. Bruni Kreutzer-Bohn

Am Anfang war der Körper, nicht das Wort“ - Bindungsanalyse trifft Psychoanalyse im therapeutischen Setting (MPA)
In den letzten 10 Jahren habe ich aus meiner praktischen Erfahrung eine Methode entwickelt und konzipiert, die ich „Modifizierte Psychoanalyse (MPA) nenne, geeignet für Menschen mit frühen prä- und perinatalen Traumatisierungen, die weder Sprache noch Mentaliserung haben und sich vorwiegend in schmerzlichen psychosomatischen Beschwerden zeigen. Diese frühen Einschreibungen im Körper, "die Inschrift der Mutter und Ahnen“ suchen einen sicheren Platz, wo alles sein darf, wollen sukzessive verstoffwechselt, verortet und versprachlicht werden. Meine Verstehens Konzepte, die ich verwende, beziehen sich auf Winnicott und Bion.


Klaus Evertz

"Urschmerz und Urglück – Integrative Kunst- und Körpertherapie“ - Man kann das Ende des Lebens nicht verstehen, wenn man den Anfang nicht verstanden hat.
Die Analytisch-Ästhetische Kunsttherapie und die Integrative Kunst- und Körpertherapie sind pränatal fundierte, medial orientierte Psychotherapieformen, die über Malerei und Körperarbeit mit der subjektiven Ätiologie der Patienten auf perikonzeptionellen, prä- und perinatalen und frühen postnatalen Resilienz-, Trauma- und Belastungsebenen arbeiten. Dadurch können reale transgenerationale, prä- und perinatale und postnatale Traumata differenziert und bearbeitet werden. Die Möglichkeiten der bildnerischen und körperlichen Ausdrucksebenen erreichen oft viel direkter die Traumaschichtungsdynamiken der Biografie und deren Klärungen, da das Körper- und Bildgedächtnis fundamentaler und umfassender die frühesten Introjekte und Prägungen offenbaren können als das spätere neokortikale Bewusstsein.

Die medizinische Forschung des „Fetal Programming“ zeigt die Ätiologie vieler somatischer und psychischer Erkrankungen auf. PatientInnen mit den unterschiedlichsten somatischen und psychischen Störungsbildern äußern in Psychoanalysen, Psychotherapien, Kunst- und Körperpsychotherapien auf vielen Ebenen intuitive Bezüge zwischen der aktuellen Erkrankung und Stressereignissen in ihrer Schwangerschaft und bei der Geburt. Diese Hinweise werden bisher noch zu wenig in den Anamnesen aufgenommen, noch in den Therapien wahrgenommen, geschweige denn bearbeitet. So entsteht nicht nur mangelnde Therapieleistung und marginaler Therapieerfolg, sondern auch die Gefahr von stresshaften Wiederholungsereignissen in den Schwangerschaften und Geburten und Lebensverläufen der nächsten Generation. Der Vortrag zeigt einige Beispiele aus der Praxis und versucht, den Stand aktueller Forschung darzustellen.

„Lehrbuch der Pränatalen Psychologie“, K. Evertz, L. Janus, R. Linder (Hrsg.), Mattes Verlag Heidelberg 2014.
„Handbook for Prenatal Psychology – Integrating Research and Practice“, K. Evertz, L. Janus, R. Linder (eds.), Springer, Heidelberg, New York, 2021.

PV 2.3 Geschichtsforum


Dr. Steffen Dörre

„Eine Zusammenschau aller bewährten wesentlichen Elemente“. Zur Biographie des DGPT-Gründers Wilhelm Bitter (1893-1974)

PV 2.4 Forschungsforum


Prof. Manfred Beutel

Differenzielle Wirksamkeit von psychoanalytischen Langzeitbehandlungen bei chronisch Depressiven mit schmerzhaften Kindheitserfahrungen
Traumatische Kindheitserfahrungen zählen zu den schmerzhaftesten Erfahrungen und hauptsächlichen Risikofaktoren für chronische Depressionen. Es wurde angenommen, dass chronisch depressive Patient:innen mit Kindheitstrauma Langzeitbehandlungen benötigen aufgrund ihres gestörten Grundvertrauens in hilfreiche Andere und resultierende Schwierigkeiten eine produktive therapeutische Beziehung aufzubauen. Da es hierzu wenige empirische Studien gibt, untersuchten wir die Einflüsse von psychoanalytischen (PAT) und kognitiv-behavioralen (KVT) Behandlungen auf die Besserung der Depressionen bei chronisch depressiven Patienten mit einer Vorgeschichte von Kindheitstraumata. In dieser Untergruppe erwarteten wir eine größere Symptombesserung bei PAT im Vergleich zu KVT.

Im Rahmen der DGPT-geförderten LAC (Langzeitttherapie Chronischer Depressionen) Studie erhielten 210 Patient:innen ambulante KVT oder PAT Langzeittherapien und wurden jährlich über 5 Jahre mit dem Beck Depressionsinventar (BDI II) untersucht. In einem linearen Mixed model Ansatz untersuchten wir die berichteten Kindheitstraumata als Prädiktoren und Moderatoren des Behandlungsergebnisses.
Beide Behandlungen führten zu vergleichbaren Besserungen der Depressionen im Mittel. Eine signifikante Dreiwegsinteraktion zeigte, dass Patienten mit Kindheitstrauma besser von den pasychoanalytischen Therapien profitierten. Dieser differentielle Vorteil von psychoanalytischen Behandlungen hat wichtige Implikationen für die differenzielle Indikationsstellung in dieser schwer zu behandelnden Patientengruppe.



Dr. Rebecca Philipp, M.Sc. Psych.

ORPHYS - Ein psychodynamisches Behandlungskonzept am Lebensende
Die Diagnose einer schweren körperlichen Erkrankung mit begrenzter Lebenszeit wird von vielen Patient:innen als ein zutiefst schmerzhafter Einbruch der Lebensrealität erlebt. Überwältigende Ängste, Gefühle von Ohnmacht und Verlorenheit in Verbindung mit der beschädigten körperlichen Integrität können Fantasien von Auflösung oder Vernichtung hervorrufen, welche die Zuwendung eines haltgebenden Gegenübers existenziell notwendig machen. In Folge der krisenhaften Regression oder der Zuspitzung vorbestehender Konflikte leiden manche Patient:innen unter Schuld- und Schamgefühlen, was Gefühle der Isolation verschärft und mit Todeswünschen und Suizidalität einhergehen kann. Bislang gibt es wenige psychodynamische Behandlungsansätze, welche den Schmerz und die existenziellen Ängste der Patient:innen am Lebensende im Kontext unbewusster Konflikte und deren Bedeutung für die Patient:innen adressieren. Grund hierfür ist unter anderem die weitverbreitete Annahme, die konfliktzentrierte Arbeit psychodynamischer Psychotherapien könnte die Abwehr der Patient:innen am Lebensende so destabilisieren, dass diese von ihren Ängsten in Bezug auf Tod und Sterben, Verlassenwerden und körperlichem Leid überwältigt werden. Die Beziehungsorientierung psychodynamischer Psychotherapien hat das Potential, das Erleben von Verbundenheit und Nähe zu stärken und die Patient:innen so bei der Bewältigung von Verlusten und Abschiedsprozessen zu unterstützen. Der Vortrag präsentiert konzeptuelle Gedanken, vorläufige Ergebnisse sowie Fallmaterial der Machbarkeitsstudie ORPHYS, die einen psychodynamischen Behandlungsansatz bei Krebspatient:innen am Lebensende untersucht.


Prof. Dr. rer. nat. Silke Wiegand Grefe

Implementierung psychoanalytischer familienbasierter Interventionen in Deutschland -
Ergebnisse aus einem bundesweitem Forschungsverbund

PV 2.5 AG Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie


Dipl.-Psych. Torvi Abel, Dr. med. Birgitta Rüth-Behr, Dipl.-Psych. Anne Springer, Dipl.-Psych. Dieter Wacker
unter Mitwirkung von Anne-Sophia Cholibois, Judith Hahner, Leonie Kampe, Michael Krenz, Katrin Müller, Albrecht Stadler, Christian Will; Gast: Cord Benecke


Indikation und Differentialindikation in der psychotherapeutischen Sprechstunde
Mit dem diesjährigen Forum setzen wir die Reihe der Veranstaltungen bei den letzten Jahrestagungen zum Thema TP fort. Das Forum hat in diesem Jahr die Indikationsstellung zum zentralen Thema. In diesem Zusammenhang wird der Versorgungsauftrag in der psychotherapeutischen Sprechstunde als Herausforderung im Sinne einer frühzeitigen Weichenstellung für den weiteren Behandlungsverlauf angenommen.

Wir wollen unter diesem Gesichtspunkt wie bisher fallorientiert arbeiten. Bei der Diskussion eines Transkripts einer Sprechstunde bilden die folgenden prozessorientierten Fragestellungen den Fokus:

  • Welche psychodynamischen Prozesse bilden sich bereits in der Sprechstunde ab?
  • Wie sehen die Entscheidungswege für die Indikationsstellung aus?
  • Welche Konzepte für die Differentialindikation lassen sich aus diesen Prozessen ableiten?


Unser Ziel ist es, aus der fallorientierten Diskussion gemeinsam Kriterien für Entscheidungspfade von Psychotherapeut:innen herauszuarbeiten, die generell für die Indikationsstellung in der Sprechstunde hilfreich sein können. Die im Jahr 2022 vorgestellten Thesen zu den Spezifika der TP können dabei zur Orientierung herangezogen werden.

PV 2.6 Klimaforum - „Wie kann man Phänomene der Ohnmacht und Transformationsverzögerung psychoanalytisch verstehen?“


Dipl.-Psych. Volker Münch

Welt-Schmerz - Klimawandel und die Anerkennung von schmerzhaften Verlusten als Voraussetzung für die Entfaltung von Anpassungsfähigkeit und Kreativität in der Weltbeziehung
Einsicht, Wissen und Wahrheit scheinen Kohut zufolge nicht auszureichen, um nachhaltige therapeutische Erfolge zu erreichen. In klassischen Psychoanalysen schien das Ziel, keine Gratifikation zu liefern, dies übersah jedoch, dass Interesse, Annahme, Zuhören, Containen bei Therapeut:innen immer in irgendeiner Form vorhanden sind und damit auch einen Trost darstellen können.

Was braucht es noch zu therapeutischer Veränderung? Trost angesichts des Schmerzes wünschen wir uns von jemand anderem, in was kann dieser Trost bestehen? Und was ist wirksam: das Erlernen einer Fähigkeit zur Empfindung von Schmerz oder mehr die gefühlte Tröstung angesichts des anwesenden Anderen? Oder gehört beides immament zusammen

Es geht immer (in Therapie und Leben) um das Ertragen; Aushalten, das sich Verhalten zum  Schmerz, der unvermeidlich ist. Dies betrifft v.a. seelischen Schmerz. Dieser ist aber allein nicht wachstumsfördernd. Unsere Patient:innen sind immer auch auf der Suche nach Trost. Ein Trost ist, dass ich nicht allein bin mit meinem Schmerz. Als Therapeut*in gehe ich davon aus, dass ich mit meinen Patient:innen schmerzhafte Erfahrungen zu bezeugen habe, noch bevor diese ein Bewusstsein für diesen Schmerz haben können. Symptome und Beziehungen enthalten den Schmerz als das immer zuletzt Gemiedene. Während zuweilen der Hass und auch die Freude ihren zuweilen sehr hörbaren Raum haben, kommt der Schmerz oft in kleinen Gesten, im Ton, in Vermeidung, der nachlassende Schmerz ähnlich passager in der gewonnenen Gelassenheit zum Ausdruck. Ein gelungener Abschied verweist auf den in ihm enthaltenen Schmerz, was der Wertschätzung für das Verlorene Ausdruck verleiht und dem Schmerz gleichzeitig einen Platz in einem Leben zuweist, dass abermals auf Aufbruch besteht.

Der Austausch über die Dinge, wie sie sind, kann speziell in Gruppenanalysen überaus intensiv sein, direkt und auch unausgesprochen. Hier soll ein ausführlicheres Beispiel aus einer siebenjährigen Gruppenanalyse eingefügt werden. Die Patientin hat eine Unzahl überwältigender schmerzhafter Erfahrungen machen müssen. Der in ihr sehr lange Zeit verschlossene Schmerz durfte schließlich Thema werden. Die gestiegene Fähigkeit, Schmerz zu ertragen, stellt manchmal selbst eine intrinsische Art des Trostes dar.



Dipl.-Psych. Barbara Meerwein

Entzugsschmerzen fossiler Junkies und Identitäts-Transformation
Die Menschheit des globalen Nordens war im Laufe ihrer Entwicklung in der Lage, über viele Grenzen hinaus zu gehen. Grenzen natürlicher Ressourcen wurden überschritten oder vermeintlich aufgehoben z.B. indem die Lebensarbeitszeit durch die Delegation von Arbeit an Maschinen mittels fossiler Technologie reduziert und „Freizeit“ verlängert wurde. Schuld- und Schamgefühle angesichts der Zerstörung von Lebensräumen oder der damit einhergehenden Unterdrückung des globalen Südens wurden verdrängt. Die Verdrängungsprozesse und die bessere Verfügbarkeit von materiellen Produkten förderten Suchtentwicklungen auch neuerer Ausprägung wie Online-Spielsucht und Binge Watching. Exzessives Kaufen wird in seinem Suchtcharakter nicht erkannt, ist identitätsstiftend und gehört inzwischen konstitutionell zu unseren gesellschaftlichen Idealen. Diese Entwicklungen wären ohne die Nutzung fossiler Energien oder die Übernutzung der natürlichen Ressourcen nicht möglich gewesen. Eine fossile Abhängigkeit hat sich ausgebildet. Das Gefühl von Suffizienz des Konsums stellt sich nicht ein.

Angesichts der Erderhitzung wächst die Einsicht, sich von verschiedenen Abhängigkeiten lösen zu müssen, aber es werden Schmerzen durch „Entzug“ und Identitätsverlust befürchtet. Schuld- und Schamgefühle drohen wieder ins Bewusstsein zu treten und verstärken den Suchtkreislauf. Neben dem Versuch, kreative pragmatische Lösungen zu finden, geht es um die Bewältigung der Angst vor Identitätsdiffusion und die Gestaltung psychischer Transformation.



Dr. biol. hum. Christine Bauriedl-Schmidt

Schmerz, Verdinglichung und Zeugenschaft im Umgang mit der Klimakrise
Die dramatischen Umweltveränderungen, die durch die menschengemachte Klimakrise erzeugt werden, können als schmerzliche Verluste erlebt werden. Allerdings ist die relative Teilnahmslosigkeit erschütternd, mit der wir trotz oder wegen der zuweilen apokalyptisch anmutenden Prognosen weitermachen wie bisher. Lukacs sozialphilosophischer Begriff der Verdinglichung hat in den letzten Jahrzehnten eine Re-Aktualisierung erfahren und wurde durch Honneth psychoanalytisch angereichert. Wer sich selbst und andere verdinglicht, spürt keinen Schmerz. Dem verdinglichenden Weltbezug kann ein Begriff der resonanten Zeugenschaft gegenübergestellt werden, der aus Arbeiten von Lifton (Aktivistische Zeugenschaft), Wolff Bernstein (Aktive Zeugenschaft) und Orange (Zuhören) abgeleitet wird. Ausgehend von dem Schmerz, der im involvierten beobachtenden Subjekt entsteht, können destruktive, unbewusste normative Prozesse in Frage gestellt werden, die das kritische Denken lähmen. Der Impulsvortrag wird verbunden mit Gedanken zu einem zeitgenössischen Film. Dieser verknotet ein historisches Trauma mit der Fragilität des gegenwärtigen Subjekts und Ahnungen einer bedrohten Zukunft, die gehalten und transformiert werden durch das bezeugende Subjekt.

PV 2.7 Aus- und Weiterbildungsforum


M.Sc.-Psych. Paul Herrmann und Dipl.-Psych. Amrei Weinhöppel

Jenseits von Normativität: Race, Class, Gender - Intersektionale Betrachtung von (un-) bewussten Vorbehalten und Differenz
Wir möchten einen Denkraum anbieten zu Normativität in der Aus- und Weiterbildung, an unseren Instituten und in unseren Behandlungen. Wie können wir über fehlende Repräsentanz, Diskriminierungserfahrungen und Phänomene wie „Othering“ sprechen - ohne in eine Täter-Opfer-Spaltung zu geraten und uns in einem Angriffs- und Verteidigungs-modus zu verfangen, der unsere Mentalisierungsfähigkeit beeinträchtigt? Wie psychoanalytisch über z.B. Rassismus und gesellschaftliche Machtverhältnisse nachdenken und was bedeutet es, wenn wir in unseren Behandlungen mit diesen Themen konfrontiert sind? Wie können wir uns dabei im Spannungsfeld von äußerer Realität und innerer Objektwelt so bewegen, dass wir nicht die Balance verlieren? Welche Räume braucht es für diese schmerzhaften Themen und wie können solche Räume geschaffen werden? Interaktiver Workshop mit Selbsterfahrungsanteil.

PV 2.8 Offene AG Vertrauensleute


Dipl.-Psych. Reinhard Otte

Die Veranstaltung teilt sich auf in zwei Teile. Alle Mitglieder sind willkommen, wir sind offen für Fragen zu unserer professionellen Ethik.

1.) Am 27. April dieses Jahres fand in Frankfurt der erste Ethiktag der DGPT zu folgenden Themen statt:

  • Alter und Krankheit als Risikofaktoren für Abstinenzverletzungen
  • Umgang mit Ethikverletzungen. Gedanken zur Implementierung von Ethikleitlinien
  • Vom Fehler-Tabu zur Fehlerkultur - Überlegungen zur Alltagsethik in der Psychoanalyse
  • Juristische Fragen. Schweigepflicht, Konsequenzen von ethischen Grenzverletzungen u.a.


Wir möchten über die Diskussion zu diesen Themen informieren und offen gebliebene Fragen, Ergebnisse und Kontroversen aufgreifen.

2.) Im zweiten Teil sind wir offen für Fragen zu ethischen Themen der Teilnehmer*innen der AG und Themen, die sich aus der sich aus der Mitgliederversammlung ergeben.

Wir sind auch darauf vorbereitet bei Bedarf in diesem Teil der AG Themen einzubringen. So z.B. die Frage danach, wieviel Abstinenz in unseren Instituten nötig ist. Etwa die Karenzzeit nach der Lehranalyse/Selbsterfahrung, nach dem Umgang mit der postanalytischen Abstinenz bei der gemeinsamen Arbeit im Institut und die Frage nach der Diskretion und dem Datenschutz bei ethischen Grenzverletzungen in den Gremien unserer Institute.

PV 2.9 Schmerz im Spiegel der Pandemie


Dipl.-Psych. Heike Bremer, Dipl.-Psych. Reiner Dilg, Dipl.-Psych. Andrea Ide und Dipl.-Päd. Beate Sohns

Nach Corona: Was hat Corona in unserer psychoanalytischen Praxis und der Gesellschaft verändert?  Die Verarbeitung der Folgen zwischen Abwehr und Krisenbewältigung
Wir möchten in dieser Arbeitsgruppe nach kurzen Input-Vorträgen mit den Teilnehmern die Folgen der Corona-Pandemie für unsere klinische Praxis und die gesellschaftlichen Auswirkungen diskutieren.

Die Nachwirkungen, insbesondere in den pädagogischen Einrichtungen und in den Psychotherapien werden zwar in verschiedenen Zusammenhängen bearbeitet, dennoch stehen wir u.E. erst am Anfang einer tieferen Auseinandersetzung mit den Folgen.

Wir wollen u.a. der Frage nachgehen, welche psychischen und sozialen Folgen gerade auch nach der Pandemie zu beobachten sind. Wie hat sich die Pandemie in den Krankheitsbildern und unseren Begegnungen mit Patient:innen gespiegelt? Was hat sich in unserem psychoanalytischen Praxisalltag verändert? Haben wir vielleicht auch neue Erkenntnis gewonnen, neue Vorgehensweisen entwickelt. Was an gewohntem Vorgehen und Ritualen ging verloren? Wie gingen wir z.B. mit dem Händeschütteln bei der Begrüßung und beim Abschied um? Wie gehen wir jetzt nach der Pandemie damit um?

Warum wird ein solch einschneidendes Ereignis wie die Corona-Pandemie so schnell von weiten Teilen der Bevölkerung verdrängt?



Charlotte Busch

Eine tiefenhermeneutische Betrachtung der Verletzlichkeit des Begehrens
Die Coronapandemie aktualisierte durch ihre Krisenförmigkeit, wie unter einem vergrößernden Brennglas, unbewusste Konflikte und mobilisierte auf vielfältige Weise eine Wiederkehr des Verdrängten. Insbesondere sexuelle Wünsche, so die These des Vortrags, bargen angesichts der Kontaktbeschränkungen und viralen Gefahr für viele Menschen ein besonderes Konfliktpotenzial, wodurch sich das Dilemma zwischen Individuum und Gesellschaft verschärfte. Anhand von tiefenhermeneutisch ausgewertetem Interviewmaterial mit Menschen, die während der Pandemie zu ihrer Sexualität befragt wurden, werden entlang prägnanter Szenen zentrale Konflikte, Ängste und Wünsche herausgearbeitet. Diese werden im Anschluss mit Freud und Laplanche theoretisch rückgebunden und vor dem Hintergrund der Trias von Begehren, Verletzlichkeit und Schmerz auf ihren subjekttheoretischen Gehalt befragt. Die Anwesenden werden eingeladen – angeregt durch das Material – frei zu assoziieren.

PV 2.10 Schmerz im Erleben der Behandelnden


Dr. med. Karl-Albrecht Dreyer

Der Schmerz in der Stunde – der introjektive Weg
Eine Analysandin fasst sich in der Stunde mit dem Finger ins Auge und sagt: „Entschuldigung“. Als Analytiker fühlen wir mit. Aber warum sich dafür entschuldigen, bei wem, wofür? Im analytischen Dialog entsteht aus dieser Frage weitere, schmerzhafte Verwirrung: der Missgriff ins eigene Auge und die anschließende Entschuldigung transportieren über eine introjektive Identifizierung Ungewissheit und Schmerz in den Analytiker hinein.

Im Vortrag wird der Weg beschrieben, wie die Empfindungen von Ungewissheit und Schmerz zwischen Analysandin und Analytiker von unbewusst zu unbewusst transportiert und vom Analytiker über Wahrnehmung und Reflexion der Gegenübertragung verstanden werden können. Auch für den Analytiker entsteht dabei passager eine unbehaglich-schmerzliche Situation. Den Vorgang der introjektiven Identifizierung beschreibt erstmals Ferenczi 1932. Bis heute spielt die introjektive als »kleine Schwester« (O’Shaugnessy 2007) der projektiven Identifizierung zu Unrecht eine untergeordnete Rolle.

Der Begriff, ein Auge auf jemanden werfen, stellt im klinischen Beispiel der Stunde die Verbindung zur Missbrauchserfahrung der Analysandin her und löst darüber das schmerzhafte Geschehen auf. Die introjektive Identifizierung nimmt den Analytiker in die unbewusste Welt der Analysandin mit hinein; ein auch für den Analytiker unbequemer, gleichwohl für die Analyse ertragreicher Weg. Er gelingt, wenn die introjektiv-identifikatorischen Prozesse gemeinsam analysiert werden.



Dr. med. Johannes Becker-Pfaff

Eingefroren auf dem Acker unter dem Blau von Yves Klein – Gedanken zu einer interdisziplinären Teambesprechung über einen Schmerzpatienten in einer Klinik für Psychosomatische Medizin
Im Vortrag soll versucht werden, sich über die Schilderung und die Reflexion einer interdisziplinären Teambesprechung in einer Klinik für Psychosomatische Medizin sowohl den vielfachen psychosomatischen Prozessen im Entstehen einer Schmerzerkrankung als auch den Verwerfungen im Rahmen der multimodalen Behandlung anzunähern. Dabei sollen Verbindungen zwischen psycho-neuro-endokrino-immunologischen Befunden, psychoanalytischen Konzepten und psychosomatischen Interventionen aufgezeigt werden, um das Mühevolle innerhalb dieser Behandlungen besser verständlich und damit leichter erträglich zu machen.

PV 2.11 Psychoanalyse und Film


Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Dirk Blothner

Psychoanalytische Diskussion des Films "Poor Things" (GB 2023) von Giorgos Lanthimos