Weiterbildung für Psychotherapeut:innen: Gleiche Chancen für alle Psychotherapieverfahren in der stationären Weiterbildung für Psychotherapeut:innen!

Zur Weiterbildung für Psychotherapeut:innen im stationären Versorgungsbereich:
Bei der Ausarbeitung der Musterweiterbildungsordnung (M-WBO) für Psychotherapeut:innen gab es auf der Ebene der Bundespsychotherapeutenkammer, in den zuständigen Gremien eine Übereinkunft, die Weiterbildung im stationären Versorgungsbereich „verfahrensübergreifend“ zu gestalten. Die Regelung sollte für ausreichend stationäre Weiterbildungsplätze für Weiterbildungsteilnehmer:innen in allen Psychotherapieverfahren (VT, TP, AP, ST) sorgen.
Was war mit „verfahrensübergreifend“ gemeint?
Angesichts eines erwarteten Mangels an Weiterbildungsbefugten mit einer Verfahrensqualifikation in den psychodynamischen (TP, AP) und dem systemischen Psychotherapieverfahren (ST) an den Kliniken, wurde beschlossen, dass im stationären Abschnitt der Weiterbildung (WB) die Verfahrensqualifikation der/des Weiterbildungsbefugten von der angestrebten Verfahrensqualifikation des/der Psychotherapeut:in in Weiterbildung (PTW) abweichen kann. Nicht damit gemeint war, dass Psychotherapie im stationären Bereich per se „verfahrensunabhängig“ durchgeführt wird. Es geht vielmehr darum, allen Psychotherapieverfahren eine angemessene Repräsentanz in der stationären Weiterbildung zu ermöglichen.
Die bisherige Umsetzung dieses Grundgedankens zeichnet leider ein anderes Bild:
Die auf den Homepages der Landespsychotherapeutenkammern (LPTK) bis jetzt veröffentlichten durch die LPTK zugelassenen stationären Weiterbildungsstätten bieten überwiegend eine stationäre Weiterbildung mit der Verfahrensqualifikation in Verhaltenstherapie (VT) an. Die Weiterbildungsplätze zum/zur Fachpsychotherapeut:in mit einer Verfahrensqualifikation in TP oder ST sind die Ausnahme, AP fehlt ganz. Darüber hinaus gibt es auch fast keine Hinweise darauf, dass die stationäre Weiterbildung ebenso „verfahrensübergreifend“ möglich ist. Natürlich entscheiden die Kliniken als Weiterbildungsstätten selbst darüber, was sie anbieten wollen – einerseits. Anderseits stellt sich die Frage: ob und wie werden die Kliniken über die verfahrensoffene Option von Seiten der Psychotherapeutenkammern informiert? - und ebenso interessierte PTW?
In der konkreten Umsetzung der stationären Weiterbildung haben sich in den Landespsychotherapeutenkammern inzwischen unterschiedliche Verfahrensweisen herauskristallisiert, bzw. unterschiedliche Auslegungen der Weiterbildungsordnungen und die diese konkretisierenden Richtlinien über die Zulassung von Weiterbildungsstätten.
Die Bandbreite reicht von
- einer Position, die davon ausgeht, dass alleine die Verfahrensqualifikation der/des Weiterbildungsbefugten die stationäre Weiterbildungsmöglichkeit der PTW bestimmt, die Verfahrensqualifikationen der Befugten und des PTW müssen auf jeden Fall doch übereinstimmen,
- über die Auffassung, dass bei abweichenden Verfahren zwischen WB-Befugten und PTWs, letztere nur die sogenannten „verfahrensübergreifenden“ Inhalte in der stationären Weiterbildung erwerben könnten, was bei vorgeschriebener Dauer der stationären Weiterbildung ein Ungleichgewicht hinsichtlich der dort zu erwerbenden Inhalte bedeutet,
- bis hin zu der Positionierung, die vorsieht, im stationären Bereich den Erwerb abweichender Verfahrensinhalte durch Hinzuziehung entsprechenden Lehrpersonals (Dozent:innen, Supervisor:innen, Selbsterfahrungsleiter:innen) sicher zu stellen.
Zu der Engstellung der Auslegung i. S. einer erforderlichen Verfahrensgleichheit zwischen Befugten und PTWs haben juristische Zweifel beigetragen: Demnach könne ein/e Weiterbildungsbefugte/r nur Inhalte im Logbuch zur Weiterbildung bescheinigen, über deren dafür notwendige Qualifikation sie/er selbst verfügt. Ansonsten könne er diese nicht beurteilen. Die Regelungen aus der M-WBO, dass der/die Befugte die Weiterbildung „persönlich leitet“ und eben auch beurteilt [M-WBO § 11 (5], daraus geschlossen weisungsbefugt ist, beinhaltet nach dieser Auffassung die Notwendigkeit einer entsprechend umfassenden Qualifikation in allen Weiterbildungsinhalten.
Die DGPT hat in dieser Frage Dr. Cornelius Pawlita – Richter am Sozialgericht a.D. – am Beispiel des Landeskammerbezirks Hessen um eine juristische gutachterliche Stellungnahme gebeten, ob es „rechtliche Vorgaben für die (teil-) stationäre Weiterbildung der approbierten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten [gibt], die zwingend erfordern, dass der/die Weiterbildungsermächtigte nur für das eigene Psychotherapieverfahren weiterbilden kann?“
Zentral erscheint uns darin die Überlegung, dass die Weiterbildungsermächtigung grundlegend jeweils für ein spezifisches Gebiet innerhalb der fachpsychotherapeutischen Weiterbildung – z.B. „Psychotherapie für Erwachsene“ oder „Psychotherapie für Kinder- und Jugendliche“ - erteilt wird. Die verfahrensspezifischen Ausgestaltungen machen darin nur einen Teil des Gebiets aus, auch wenn diese zwingend zum Erwerb der Fachqualifikation notwendig sind.
Nach dieser Auffassung beinhaltet die Aufgabenbeschreibung der „verantwortliche Leitung“ [M-WBO § 11 (1)] der Weiterbildung durch die/den Befugte/n in der M-WBO den Schlüssel dafür, eine Delegation der Vermittlung von Weiterbildungsinhalten an Andere zu ermöglichen. Sowohl die M-WBO für Psychotherapeut:innen als auch die M-WBO für Ärzt:innen sieht diese Möglichkeit der Hinzuziehung vor.
Damit stellt sich die Frage neu: Warum und in welchen Fällen sollte jemand hinzugezogen werden? Wenn nicht als notwendige oder sinnvolle fachliche Ergänzung zur Sicherung der Qualität der Weiterbildung?
Auf diese Möglichkeit verweist auch § 11 (6) der M-WBO: „Die Weiterbildungsbefugten können im Rahmen der unter ihrer Leitung durchgeführten Weiterbildung für einzelne Weiterbildungsinhalte dafür qualifizierte Dozent*innen und Supervisor*innen hinzuziehen. Selbsterfahrungsleiter*innen sind hinzuzuziehen.“ Sowie auch der § 13 (4) der M-WBO für Weiterbildungsstätten: „Kann die Weiterbildungsstätte für den jeweiligen Weiterbildungsabschnitt die Anforderungen nach Absatz 3 nicht vollständig erfüllen, hat sie diese Anforderungen durch Vereinbarungen sicher zu stellen.“ (Absatz 3 fordert die vollständige Erfüllung der Anforderungen der Anforderungen der Weiterbildungsordnung durch die Weiterbildungsstätte.)
Die neue Weiterbildung für Psychotherapeut:innen und deren konkrete Umsetzung befinden sich in gewisser Weise in juristischem Neuland. Sie befinden sich auch in einer Phase der Dringlichkeit bezüglich der Ermöglichung ihrer Umsetzung - auf einem fachlich möglichst hohen Niveau und für alle Psychotherapieverfahren gleichermaßen.
Aus dieser Sicht fordert die DGPT eine fachlich fundierte berufspolitische Entscheidung der Landespsychotherapeutenkammern hinsichtlich der Umsetzung der Weiterbildungsordnungen im stationären Versorgungsbereich, die an der notwendigen Breite für alle Verfahren ausgerichtet ist:
- Es muss ermöglicht und gegenüber den Beteiligten kommuniziert werden, dass Weiterbildungsbefugte im stationären Abschnitt der Weiterbildung entsprechend qualifizierte Lehrende (Dozent:innen, Supervisor:innen, Selbsterfahrungsleiter:innen) hinzuziehen können, wenn ihre Verfahrensqualifikation von der angestrebten Qualifikation des PTW abweicht, um diese Inhalte zu ergänzen.
- Die Qualifikation der Hinzugezogenen wird – zumindest hinsichtlich Supervisor:innen und Selbsterfahrungsleiter:innen bereits von der jeweilig zuständigen Psychotherapeutenkammer geprüft. Darüber hinaus liegt es im Ermessenbereich der/des Befugten, wen er/sie für ausreichend qualifiziert hält und deshalb hinzuzieht.
- Die M-WBO – und auch die WBOen der Länder – sehen vor, dass die Selbsterfahrung mit Beginn der Weiterbildung aufgenommen wird. Folgt man der engen juristischen Argumentation – es kann nichts bescheinigt werden, für dessen Qualifikation man nicht selbst als Befugter verfügt - würde das für PTW in einer „verfahrensübergreifenden“ stationären Weiterbildung – bedeuten, dass sie, wenn ihre angestrebte Verfahrensqualifikation von der des Befugten abweicht, die Selbsterfahrung in einem anderen Verfahren als dem von ihnen angestrebten beginnen müssten, z.B. in VT statt in TP oder aber die Selbsterfahrung könnte nicht begonnen oder nicht angerechnet werden. Dies würde die Anforderungen an die abzuleistende Selbsterfahrung erhöhen, und wäre fachlich-inhaltlich sicher fragwürdig.
- Aus unserer Sicht ist es in jedem Fall notwendig und wünschenswert, dass die PTW die Arbeitsweisen unterschiedlicher Supervisor:innen kennen lernen – sowohl stationär als auch ambulant. Deshalb muss es sowohl in der stationären, als auch in der ambulanten Weiterbildung einen etablierten Austausch zwischen Hinzugezogenen und Weiterbildungsbefugten geben, der dann als Grundlage einer fundierten Beurteilung des PTW durch die Befugten dienen kann.
Diese Überlegungen betreffen auch die in der Klinik relevante Gruppenpsychotherapie, bzw. die Frage nach der Qualifikation in Gruppenpsychotherapie der Befugten überhaupt, die jüngst seitens Juristen aus den Psychotherapeutenkammern aufgeworfen wurde: Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn, die Verfügbarkeit potentieller Weiterbildungsbefugter mit der neu erhobenen Forderung, diese müssten auch in Gruppenpsychotherapie qualifiziert sein, einzuengen. Es gibt in allen Psychotherapieverfahren durchaus seit vielen Jahren anerkannte Dozent:innen, Supervisor:innen und Selbsterfahrungsleiter:innen in Gruppenpsychotherapie, die diese Weiterbildungsinhalte qualifiziert unterrichten können. Wenn die Qualität der Weiterbildung gesichert werden soll, greift auch hier die Möglichkeit der Hinzuziehung.
Fazit:
Die Umsetzung der Weiterbildungsordnungen für Psychotherapeut:innen der Länder führt durch die aktuelle Zulassungspraxis der Landespsychotherapeutenkammern für stationäre Weiterbildungsstätten zu einer nicht tragbaren Verengung der Verfahrensbreite in den Weiterbildungen zum/zur Fachpsychotherapeut:in. Dies betrifft die psychodynamisch und die systemisch ausgerichteten Gebiets-Weiterbildungen gleichermaßen.
Notwendig ist eine Verständigung der Landespsychotherapeutenkammern über eine abgestimmte Verwaltungspraxis bei der Zulassung von stationären Weiterbildungsstätten, die eine tatsächlich „verfahrensübergreifende“ stationäre Weiterbildung über entsprechende Hinzuziehungsmöglichkeiten umsetzt. Die stationäre Weiterbildung darf nicht auf die Verfahrensqualifikation der/des Weiterbildungsbefugten eingegrenzt werden. Vielmehr ist es die Aufgabe der Kammern, alle Bewerber für die Einrichtung einer stationären Weiterbildungsstätte (und die bereits zugelassenen Weiterbildungsstätten) darauf hinzuweisen, dass es über Hinzuziehung qualifizierter Kolleg:innen aus anderen Verfahren möglich ist, für alle PTWs die gesamte Bandbreite der geforderten Weiterbildungsinhalte im stationären Versorgungsbereich abzudecken.
Das Gutachten finden Sie im Mitgliederbereich unter DGPT-Stellungnahmen.