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Gesetz zur Digitalen Versorgung (DVG) und Referentenentwurf Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV)

März / April 2020 / Stellungnahme

Gesetz zur „Digitalen Versorgung“ (DVG) und der Referentenentwurf Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV)

Am 29.11.2019 hat der Deutsche Bundesrat das „Digitale- Versorgung-Gesetz“ (DVG) gebilligt, das bereits am 07.11.2019 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Ziel des Gesetzes ist eine Verbesserung der Versorgung durch „Digitalisierung und Innovation“. Dabei lässt der Geist des Gesetzes diese beiden Begriffe wie Synonyme erscheinen. Digitale Innovation bzw. Innovation durch Digitalisierung kommen als Selbstzweck daher. Eine qualitative Abwägung, wo Digitalisierung sinnvoll ist und wo nicht, erfolgt nicht. Stattdessen nimmt das Gesetz eine hohe Zahl an Regelungen für das gesamte Gesundheitswesen vor. An dieser Stelle können daher nur die wichtigsten aufgeführt werden:

1. Patientendaten der gesetzlich Versicherten können künftig auch ohne deren Einverständnis zur Forschung genutzt werden. Dazu sollen die Daten der Versicherten in einem Forschungsdatenzentrum beim Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-SV) gesammelt werden. Diese Regelung ist eine Reaktion auf die jahrzehntelange Weigerung der Krankenkassen, ihre Daten uneingeschränkt für die Versorgungsforschung bereitzustellen, obwohl dies immer schon im Sozialgesetzbuch V festgeschrieben war. Die Kassen haben immer argumentiert, dass es sich um geheime Unternehmensdaten im Wettbewerb mit anderen Kassen handle. Dieser dauerhaften und seit Jahren rechtswidrigen aber geduldeten Verweigerungshaltung hat Minister Spahn nun einen an sich nachvollziehbaren Riegel vorgeschoben. Es verwundert allerdings sehr, dass die Daten nicht an einem neutraleren Ort gesammelt werden sollen. Auch ist es bemerkenswert, dass die Pseudonymisierung der Daten erst auf öffentlichen Druck zugesichert wurde (ob diese doch reversibel ist, bleibt offen). Außerdem ist vorgesehen, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) allein per Rechtsverordnung festlegen kann, wie mit den Daten im Detail verfahren wird. Aus Sicht der DGPT ist trotz des Gewinnes für die Versorgungsforschung ein solch politisch unsensibler Umgang mit Patientendaten hoch problematisch. So erreicht man keine Akzeptanz für die Forschung mit Routinedaten sondern steigert potentiell Ängste in der Bevölkerung bzgl. des Umgangs des Staates mit den Daten der Bürger und Patienten. Die DGPT hat deshalb ebenfalls ihre Stimme gegen den besagten Passus erhoben. Unsere gemeinsam mit der VAKJP erstellte Stellungnahme „Digitalisierung ja – aber nicht auf Kosten des Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung!“ finden Sie im Anhang dieser Stellungnahme. Auch die DPV hat in einer Stellungnahme Kritik daran geübt, dass hier die Interessen der Gesundheitsindustrie anscheinend vor Patienteninteressen gestellt werden. Wir sehen das DVG als einen Schritt zu einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens an. Darüber hinaus sehen wir in der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit einer Kapitalbeteiligung von Krankenkassen an Start-up- Unternehmen (die Apps produzieren), eine Vermischung von ordnungspolitisch sinnvollen Abgrenzungen, um Interessenkonflikten vorzubeugen; nicht umsonst ist es Krankenkassen untersagt, selbst Arzt- und Psychotherapeutenniederlassungen sowie Krankenhäuser zu betreiben.

2. Gesetzlich Versicherte bekommen gegenüber ihrer Krankenkasse einen Leistungsanspruch auf Gesundheits-Apps. Sie erhalten ihre Apps auf Verordnung von Ärzten oder Psychotherapeuten. Voraussetzung ist, dass die entsprechenden Apps vom „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ auf Datensicherheit, Datenschutz und Funktionalität positiv geprüft worden sind. Die gesetzliche Krankenversicherung ist dann für ein Jahr lang verpflichtet, die Kosten für diese App zu erstatten. Innerhalb dieser Zeit muss der Hersteller der App beim Bundesinstitut nachweisen, dass seine App die Versorgung der Patienten verbessert. Wie viel Geld der Hersteller dann dafür erhält, verhandelt er selbst mit dem GKV-SV. Dass zwar Datensicherheit, Datenschutz und Funktionalität sowie der Nutzen einer App für die Versorgung nachgewiesen werden müssen, nicht aber ihre Wirksamkeit durch ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) administriertes Überprüfungsverfahren, wurde von vielen Verbänden und Institutionen bis hin zur Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) kritisiert. Neben einer Verordnung durch Ärzte und Psychotherapeuten können Patienten digitale Gesundheitsanwendungen auch mit Zustimmung bzw. auf Empfehlung ihrer Krankenkasse einsetzen. Zugleich schreibt das DVG Ärzten und Psychotherapeuten vor, die digitalen Anwendungen ihrer Patienten in die jeweilige Behandlung auch mit einzubeziehen. Gegen diese Bevormundung haben alle Fach- und Berufsverbände ebenfalls heftig protestiert und die Indikationsstellung (auch ohne App) als alleiniges Vorrecht des Arztes bzw. Psychotherapeuten reklamiert.

3. Nachdem die Verpflichtung für Vertragsärzte und -psychotherapeuten hierzu bereits besteht, verpflichtet das Gesetz nun auch Apotheken bis Ende September 2020 und Krankenhäuser bis zum 1. Januar 2021, sich an die Telematikinfrastruktur (TI) anzuschließen. Hebammen und Physiotherapeuten sowie Pflege- und Rehabilitationseinrichtungen können sich laut Gesetz freiwillig an die TI anschließen lassen. Die Kosten dafür werden ihnen erstattet. Über die Problematik der TI haben wir bereits in unserem MitgliederRundschreiben 02/2019 ausführlich und kritisch berichtet. Inzwischen ist es laut einer Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 31.12.2019 Hackern des „Chaos Computer Clubs“ (CCC) gelungen, sich als Praxisinhaber auszugeben und so das Identifikationsverfahren zur Installation der TI zu umgehen. Dabei konnte man sich Arzt- und Praxisausweis, eine elektronische Gesundheitskarte sowie einen Konnektor an einen Käseladen liefern lassen. Die TI soll die geplante Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), auf die Patienten bereits ab 01.01.2020 einen Rechtsanspruch haben, vorbereiten. Regelungen zur ePA wurden allerdings vom BMG wieder aus dem Gesetzentwurf entfernt, da sie mit Kontroversen verbunden waren, welche die Verabschiedung des Gesetzes verzögert hätten Für Ärzte und Psychotherapeuten, die sich weiterhin nicht an die TI anschließen wollen, wird der Honorarabzug gemäß DVG ab dem 1. März 2020 von 1 auf 2,5 % erhöht. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf eine Petition an den Deutschen Bundestag ( https://t1p.de/h0m0). Diese hat zum Inhalt, dass Patienten, die nicht wollen, dass ihre Daten außerhalb der Praxen ihrer behandelnden Ärzte bzw. Psychotherapeuten gespeichert werden, da sie dort keine Kontrolle mehr über ihre Daten haben, dadurch keine Nachteile erleiden dürfen. Die Petition fordert außerdem, dass die Sanktionen gegen Ärzte und Psychotherapeuten, die sich nicht an die TI anschließen lassen wollen, aufgehoben werden sollen. Nach Abschluss der Zeichnungsfrist im Januar dieses Jahres hatte die Petition das Quorum von mindestens 50.000 Zeichnern erreicht, so dass sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit ihr befassen muss.

4. Förderung von Telekonsilen und Videosprechstunde: Beide werden künftig besser vergütet und sollen sektorübergreifend funktionieren. Außerdem dürfen Ärzte über ihr Angebot von Videosprechstunden auf ihrer Internetseite informieren.

5. Der Innovationsfonds wird in jedem Fall bis 2024 fortgeführt. Dem hohen Takt der Spahn’schen Produktion von Gesetzen und Verordnungen entsprechend, liegt inzwischen bereits ein Referentenentwurf „Digitale- Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV)“ vor, der die Umsetzung der Bestimmungen des DVG betrifft. Wie das DVG selbst stellt auch der Referentenentwurf DiGAV ein sehr umfängliches Werk dar, zu dem die Fach- und Berufsverbände nur in sehr knapp bemessenen Zeitfenstern Stellung beziehen können.

Vor diesem Hintergrund kann an dieser Stelle keine ins Detail gehende Analyse des Referentenentwurfs erfolgen, sondern lediglich die Hervorhebung einiger Grundlinien:

• Die Hersteller von Gesundheits-Apps dürfen die Daten der Nutzer erheben. Sie sollen explizit nicht der im Berufsrecht von Ärzten und Psychotherapeuten festgeschriebenen Schweigepflicht unterliegen. Die Hersteller haben nur die in ihren Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter nach § 3 Abs. 5 auf Verschwiegenheit zu verpflichten. Bei Verstößen gegen die Verschwiegenheit können die Mitarbeiter lediglich arbeitsrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, da sie ja keine Berufsgeheimnisträger gemäß § 203 Strafgesetzbuch sind. Die Hersteller sind somit weitgehend frei, die Daten in ihrem Sinne zu nutzen.

• Die von den Versicherten eingesetzten und aus den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanzierten digitalen Gesundheitsanwendungen müssen in Bezug auf das umgesetzte Verfahren und die präsentierten Inhalte auf gesichertem medizinischen Wissen aufbauen und anerkannte fachliche Standards berücksichtigen (Begründung zu § 3; Nr. 15). Bei Letzteren wird vor allem auf die Leitlinien abgehoben, in denen die psychoanalytisch begründeten Verfahren bekanntlich einen schweren Stand haben. Um die genutzten Grundlagen und deren adäquate Umsetzung prüfen zu können, muss der Hersteller der digitalen Gesundheitsanwendung offenlegen, welche Quellen die fachliche Basis der Anwendung bilden (Begründung zu § 11). Bemerkenswerter Weise haben wir in dem vorliegenden Referentenentwurf einer Rechtsverordnung jedoch keine Vorgaben zum Umgang mit den im Forschungsdatenzentrum beim GKV-SV zu speichernden Versichertendaten, die der Forschung zur Verfügung gestellt werden, finden können. Erweckt das DVG zunächst den Eindruck, als würde hier die Digitalisierung des Gesundheitswesens als Selbstzweck betrieben, so zeigt sich bei näherem Hinsehen als roter Faden die Absicht einer technisch optimierten Steuerung von Leistungs- und begleitenden Finanzierungsströmen. Angetrieben von einer ministeriellen Durchsetzungsstrategie, deren Tempo keine sinnvollen Expertenberatungen im Vorfeld zulässt, treten - ausweislich des Referentenentwurfs DiGAV - fachliche und datenschutzrechtliche Aspekte nach unserer Einschätzung bedenklich weit in den Hintergrund.

Anhang:
Gemeinsame Pressemitteilung von DGPT und VAKJP zur Änderung von § 303 SGB V im Digitalen Versorgungsgesetz (DVG) Digitalisierung ja - aber nicht auf Kosten des Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung!
Zukünftig sollen die Patientendaten der gesetzlich Versicherten, wie Alter, Geschlecht, Wohnort, Behandlungen usw., ohne deren Einverständnis zur Forschung genutzt werden. Das widerspricht dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz. Mit den Daten der ca. 73 Mio. Menschen soll insbesondere Forschung betrieben werden (Längsschnittanalysen über längere Zeiträume, Behandlungsabläufe und Analysen des Versorgungsgeschehens). Konkret sollen die Krankenkassen die Daten der Versicherten an den GKV-SV weiterleiten. Dort sollen die hochsensiblen Daten dann pseudonymisiert werden. Diese Daten werden dann von einem Forschungsdatenzentrum verwaltet, das am Bundesgesundheitsministerium angesiedelt ist. WICHTIG: damit entstünde eine der umfangreichsten Datensammlungen in Deutschland, ohne dass die Versicherten dem widersprechen könnten. Das Bundesministerium für Gesundheit behält sich dabei vor, im Benehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung wesentliche Punkte zur Datenerhebung, Datenübermittlung und Datenverwaltung und auch zum Umgang mit dem Datenschutz erstspäter in einer gesonderten Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zu regeln. Der Souverän der Daten ist nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz immer die einzelne Person. DESHALB FORDERN WIR: den Versicherten muss das Recht auf Widerspruch eingeräumt werden! Wenn die Versicherten ihr Einverständnis erklären, bleibt die Frage, warum der Spitzenverband der Krankenkassen für die Sammlung der Daten ausgewählt wurde und nicht z. B. das Statistische Bundesamt oder die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Diese Datensammlung weckt im Zeitalter der Digitalisierung große Begehrlichkeiten, umso mehr muss auf höchste Sicherheitsstandards geachtet werden, auf die Wahrung des Datenschutzes und auf die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen. Letztlich müssen die Interessen und das Wohl der Patientinnnen und Patienten im Vordergrund stehen und nicht die drängenden Interessen der Gesundheitsindustrie.

Hinweis: Punkt 1 der Stellungnahme wurde mittlerweile abgeholfen. Wir freuen uns, dass unsere Stellungnahme gemeinsam mit denen der anderen Verbände den Gesetzgeber veranlasst hat, im Patientendatenschutzgesetz die Freigabe von Patientendaten zu Forschungszwecken wieder an die Einwilligung der Patienten zu koppeln.