74. Jahrestagung der DGPT

Hauptreferenten

Dominic Angeloch, Priv.Doz. Dr. phil.

ist Chefredakteur der Monatszeitschrift Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen (Klett-Cotta Verlag) und Privatdozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt/M. Promotion an der LMU München mit einer Arbeit zur Methodik psychoanalytischer Ästhetik und Gustave Flaubert (Die Beziehung zwischen Text und Leser. Grundlagen und Methodik psychoanalytischen Lesens. Mit einer Lektüre von Flauberts »Éducation sentimentale«, Gießen 2014).

Habilitation 2020 an der Goethe-Universität Frankfurt zu den Bedingungen der Transformation von Erfahrung in Literatur und von Literatur in Erfahrung, untersucht besonders in den Werken Wilfred Bions und George Orwells. Das erste von zwei Büchern aus diesem Zusammenhang erschien 2022: Die Wahrheit schreiben.

George Orwell: Entwicklung und Methode seines Erzählens (Edition Tiamat – Verlag Klaus Bittermann, Berlin 2022). 2023 wird ein Buch zu den autobiographischen und literarischen Werken des britischen Psychoanalytikers Wilfred Bions und ihrer Reflexion des Ersten Weltkriegs erscheinen: Das Zerstörte Erzählen. Wilfred Bions Erkenntnispoetik und die Erfahrung des Ersten Weltkriegs.

Eine weitere Buchpublikation – über Geschichte, Ästhetik und Logik des modernen Verschwörungsdenkens – wird ebenfalls 2023 erscheinen: Die Realität hinter der Realität. Verschwörungsdenken als moderne Denkform.

Messungen im Nebel der Angst
Wie Wilfred Bion die Erfahrung des Ersten Weltkriegs in seinen autobiographischen Schriften erzählt

1897 in Mathura, Indien, geboren, kämpfte Wilfred Bion, kaum 18 Jahre alt, als Offizier der britischen Armee im Ersten Weltkrieg. Als Kommandant bei einer Panzereinheit, einer damals völlig neuen Waffengattung, auf der die Hoffnungen der Alliierten ruhten, war er an Einsätzen an den wichtigsten Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkriegs wie Ypres und Amiens beteiligt. Während der Kriegshandlungen tat sich Bion durch außerordentlichen Mut hervor und verließ die Armee am Ende des Krieges 1918 mit Auszeichnungen als hochdekorierter Kriegsheld. Seine Freude am Leben und die Konsistenz seiner Psyche aber waren auf den Schlachtfeldern zurückgeblieben. Ein Leben lang versuchte Bion, eine narrative Form für die traumatischen Erfahrungen zu erarbeiten, die er während seiner Zeit als Panzerkommandant gemacht hatte. Bions Autobiographiefragmente schreiben so etwas wie die Urgeschichte der psychischen Katastrophe, der zu entrinnen Bion bis zu seinem Tod nicht gelingen sollte. Damit aber zugleich auch eine Urgeschichte der historischen Katastrophe, unter deren Bann die Welt bis heute steht. – Der Vortrag stellt zunächst die autobiographischen und literarischen Schriften Bions im Zusammenhang vor. Eine Analyse der verschiedenen schriftlichen Fassungen jenes Ereignisses des Krieges, das sich wahrscheinlich am traumatischsten auf Bion auswirkte, zeigt, wie groß die psychischen, aber auch sprachlich-narrativen, literarischen Probleme sind, vor denen sich Bion ein Leben lang fand, und eröffnen ein Panorama auf Bions innere Landschaft – die psychische Landschaft der erfahrenen Zerstörung und die literarische Landschaft der Erzählung, mittels derer diese Zerstörung narrativ rekonstruiert wird.

Nicola Abel-Hirsch

is a training and supervising analyst of the British Psychoanalytical Society and works in private practice in London.

How do we get our thinking going?
The author will look at instances in which Bion discussed getting his thinking going again. This includes his military experience in both World Wars, first as a very young tank commander, feeling like a mouse being murderously played with by a cat; and, secondly, as a military psychiatrist recognising the debilitating guilt that could be felt returning men to battle.

In his psychoanalytic work, Bion would look further into what it is to think in situations of considerable disturbance. He spoke - unusually - of ‘choice’ and ‘responsibility’ in the patient, while continuing to provide containment for their most primitive and damaging experiences. In looking at the analyst’s thought processes, Bion also suggested we can be mistaken about what we believe constitutes thinking and investigated taking steps to strengthen a deeper and more accurate analytic functioning.

Josi Rom, Dr. med. Psychiater, Psychotherapeut und Psychoanalytiker

ist als Supervisor und Dozent sowie in eigener Praxis in Winterthur tätig.

Wenn Psychotherapie zum Angriff auf den Denkraum schizophrener Menschen wird
Am Beispiel einer Fallvignette verknüpft der Referent theoretische Überlegungen mit praktischer Umsetzung.

Dabei wird deutlich, wie Psychotherapie-Intervention unbeabsichtigt zum unerwarteten Angriff des Therapeuten auf den Denk- und Fühlraum des schizophrenen Menschen führte, dieser Angriff aber als genutzte Chance gemeinsam zu einer erfolgreichen partnerschaftlichen“ psychotherapeutischen Behandlung gewendet werden konnte.
 

Stephan Doering, Univ.-Prof. Dr. med.

ist Leiter der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien. Er ist Psychoanalytiker (Wiener Psychoanalytische Vereinigung, IPA) und Lehrtherapeut in der Übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP). Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Seine Forschungsschwerpunkte sind Diagnostik und psychoanalytische Behandlung von Borderline Störungen, Psychotherapieforschung und implizite Aspekte der therapeutischen Beziehung.

Zum Thema TFP liegt von ihm ein Einführungsband vor: Stephan Doering: Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016

"Fire Protection" - der Rahmen als Schutz des Denkraums in der Übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP)
Die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) wurde von Otto Kernberg entwickelt, nachdem er im Rahmen der Menninger Psychotherapiestudie erkannt hatte, dass für eine bestimmte Patient:innengruppe, nämlich solche mit struktureller Störung und heftigem Agieren, die Standardpsychoanalyse nicht optimal wirksam war. Es kam zu Sprengungen des Rahmens durch selbstschädigendes Verhalten, Suchtmittelkonsum, Nichterscheinen oder Verspätungen, destruktive bzw. verführerische Enactments in den Sitzungen oder aber Weigerung zur Mitarbeit in der Therapie. Bestimmte Parameter, die das Setting absichern, waren vonnöten, um eine Arbeit in der Übertragung zu ermöglichen. Ein Kernelement dieser zweistündig im Sitzen durchgeführten psychoanalytischen Psychotherapie ist der Therapievertrag. Dieses eher behavioristisch anmutende Element definiert und sichert die Grenzen des Settings, indem Verantwortlichkeiten definiert werden. Erst nach einem committment seitens des:der Patient:in zum Bemühen, den Therapievertrag einzuhalten, wird die Behandlung begonnen. Immer dann, wenn der Therapievertrag – und damit das Setting – durch Enactments verletzt werden, gibt der:die Therapeut:in die technische Neutralität auf, um den Rahmen wiederherzustellen. Anschließend wird im Hinblick auf das Geschehene eine gründliche Übertragungsanalyse durchgeführt. Ebenfalls dem Erhalt des Denkraums dient die Formulierung von Therapiezielen sowie die kontinuierliche Aufmerksamkeit für die äußere Realität des:der Patient:in.

Nasim Ghaffari

ist Psychoanalytikerin. Sie hat ihre analytische Weiterbildung in Frankfurt absolviert, wo sie u.a. am Sigmund-Freud-Institut gearbeitet hat. Aktuell arbeitet sie in freier Praxis in Zürich. Sie ist sowohl Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) als auch der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGPsa). In der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) ist sie Consultant for Asia Pacific Region in Comitee on Psychoanalysis and Women (COWAP).
Nasim Ghaffari arbeitet sowohl hochfrequent analytisch mit den in der Diapora lebenden Immigrant*innen und Personen mit Migrationshintergrund als auch psychodynamisch mit Geflüchteten. Transkulturalität, Vielfalt- und Diskriminierungssensible intersubjektiv psychoanalytische Ansätze sind ihre Arbeits- und Interessensschwerpunkte.

«Frau. Leben. Freiheit.»
Die iranische Diktatur und die feministische Revolute

In diesem Vortrag wird die Anbahnung der feministischen Revolutionsbewegung von 2022-2023 aus psychoanalytischer Sicht geschildert. Dabei werden die psychosoziale Aspekte der iranischen Gesellschaft aufgeschlüsselt, so dass ein psychodynamisches Verständnis für die gesellschaftlichen Ereignisse entstehen kann. Die transgenerationale Weitergabe von Traumata und die emotionalen Konsequenzen der diktatorischen Gewalt werden als psychodynamische Ursachen für die Revolutionsbewegung angeführt, die von seelischen Wunden und unbewussten Fantasien speist. Dabei bemächtigt sich der Denkraum für Symbolisierung, der transgenerational bewahrt wurde, des Cyberspace und nutzt ihn für eine Neugeburt. Die intergenerationale Vereinigung gelingt in der lebendigen anti-diskriminierenden Revolutionsbewegung.

Lutz Götzmann, Prof. Dr. med. Psychoanalytiker (SGPsa / IPV)

tätig in eigener psychoanalytischer Praxis in Berlin. Studium der Medizin in Homburg / Saar; psychoanalytische Ausbildung am Freud-Institut Zürich und Habilitation am Universitätsspital Zürich. 2011 – 2020 Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Bad Segeberg, seit 2014 APL-Professur an der Universität zu Lübeck. Mitbegründer des Instituts für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften (IPPK) und Mitherausgeber der Zeitschrift „Y – Zeitschrift für Atopisches Denken“. Zahlreiche Publikationen zur psychoanalytischen Psychosomatik.

Über das Reale als analytisches Ereignis
Meine Ausführungen beschäftigen sich mit dem Realen (im Sinne Lacans) und dem Ereignis in der psychoanalytischen Kur. Als Grundlage werde ich zunächst ein psychoanalytisches Modell der mentalen Funktionen vorstellen, welches - so hoffe ich, hinreichen tragfähig ist, um sich dem Ereignis des Realen zu nähern. In einem zweiten Schritt werde ich das Modell in den Kontext von Alain Badious Ereignisphilosophie stellen, um die Begriffe der Vielheit, der Zählung-als-Eins, der Präsentation / Repräsentation sowie der Ereignisstätte für die Psychoanalyse fruchtbar zu machen. Abschließend werde ich die entsprechende Klinik beschreiben, die am Rand des Ereignisses aufritt, und entsprechende Interventionen vorschlagen.

Lorenz Böllinger, Prof. Dr.

Rechtswissenschaftler, Diplom-Psychologe und Psychoanalytiker, emeritierter Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bremen

Von der Psychopathie zur Makro-Soziopathie
In einem interdisziplinären, Forensische Psychiatrie, Kriminologie, Strafrecht, Psychoanalyse und Sozialpsychologie umfassenden Ansatz sollen verschiedene Zusammenhänge und gesellschaftliche Prozesse aufgezeigt werden. Es soll zum einen darum gehen das, was in die psychiatrische „Schublade Psychopathie“ als weitgehend angeborene Störung getan wird, psychoanalytisch im Sinne traumatisierungsbedingter Störung auszudifferenzieren. I.S. einer Netzwerk- und Prozesstheorie (z.B. Bruno Latour, Pierre Bourdieu) sollen dafür maßgebliche, verdrängte bzw. dynamisch-unbewusste kollektive gesellschaftliche Bedingungen und Einflüsse herauskristallisiert werden (Vera King, Mario Erdheim), welche letztlich in einer „Makro-Soziopathie“ ganzer Staaten gipfeln.

Zum anderen sollen die entsprechenden Mechanismen gesellschaftlicher und insbesondere auch fachwissenschaftlicher Verdrängung und Verleugnung i.S. einer destruktiven Kollusion herausgearbeitet werden.

Ulrich Bahrke, Dr. med. habil.

Psychoanalytiker (DPV/IPA) und Lehranalytiker (DGPT), Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, tätig in eigener Praxis in Zürich.

1991 - 2007 Oberarzt an der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
2007 – 2021 Mitarbeiter am Sigmund-Freud-Institut Frankfurt,
2010 - 2015 als Leiter der Institutsambulanz und Klinischer Leiter der LAC-Depressionsstudie sowie Leiter der OPD-Arbeitsgruppe,
2009 Habilitation am Fachbereich Erziehungswissen-schaft/Humanwissenschaften der Universität Kassel und bis 2021 Vertretungsprofessur bzw. Privatdozentur am dortigen Institut für Psychoanalyse.

Im Rauch der Vergangenheit und Feuer der Gegenwart
Überlegungen zur Aufrechterhaltung freiheitlichen Zusammenlebens

“We must be able to have these strong feelings and be able to go thinking clearly even when we have them” (Bion). Wie dieses „must be able“ unter dem emotionalen „Feuer“ von Projektionen erreicht bzw. aufrechterhalten werden kann, ist ein zentrales Anliegen psychoanalytischer Professionalisierung. Rahmen und Setting sind dabei notwendige, haltgebende Bedingungen. Bezogen darauf spüren wir, dass unsere freiheitlich organisierten Gesellschaften durch „Affektstürme“ aus Vergangenheit und Gegenwart bis in ihre demokratischen Rahmenbedingungen hinein gefährdet sind. Bedroht von kriegerischen Angriffen, solchen auf unsere existentiellen Lebensgrundlagen, auf unsere Orientierung im politischen Raum durch gezielte Desinformationskampagnen und anderen Angriffen auf das demokratische Zusammenleben erleben wir uns und uns nahe Menschen von Affekten und deren Abwehr erschöpft. Das Maß von Angst, Zorn, Mitleid, Empörung, von Enttäuschungen über (inzwischen verlorene) Freunde wegen deren Verblendungen, Verleugnungen, die wir auch bei uns selbst bemerken, lassen Ohnmacht oder das Aufbegehren dagegen spüren – es zehrt, „als zerrten Bleigewichte der Mühsal am Gemüt” (Thomas Mann). - Am Beispiel sozialpsychologischer Nachwirkungen osteuropäischer Prägungen und dem allgegenwärtigen «digitalen Feuer» gezielter Desinformationen wird der Frage nachgegangen, was neben einer oft unzureichend wirksamen «Aufklärung» das gesellschaftliche Zusammenleben «wirklich trägt» und welcher Ergänzung sie bedarf, statt autoritären «Lösungen» zu verfallen. Der «späte Bion» fügte dem eingangs zitierten Satz den intuitiven Kontakt mit O hinzu – ein Beispiel, wie heutige Antworten der Psychoanalyse über die «Trockenlegung der Zuidersee» (Freud) hinausweisen.

Martina Feurer, Dr. Dipl.-Psych. Psychiaterin in Freiburg

Von der Vernichtung des Denkens bis zu seiner Überbesetzung. Angriffe auf das Denken bei Piera Aulagnier und Donald W.Winnicott
Aulagnier und Winnicott haben aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven die (Zer-) störbarkeit des Denkens untersucht. Beide interessierten sich für den Zusammenhang zwischen dem Schweregrad von Denkstörungen und den Stadien der Denkentwicklung.

Aulagnier entwickelte das Konzept des originärprozesshaften Denkens, das dem Primär- und Sekundärprozess vorausgeht. Denken und Gedachtes sind in dieser frühen Denkform ungetrennt, so dass in einer schweren Versagungssituation der Denkende nur sich selbst angreifen kann, um den vermeintlichen Verursacher der Versagung zu vernichten.

Winnicott hatte ganz ähnliche Entdeckungen gemacht. Zu schweres Anpassungsversagen im Stadium absoluter Abhängigkeit bedroht den Säugling mit Vernichtung. Die drohende Vernichtung wird durch eine intellektuelle Aktivität, die das Widerfahrene speichert, abgespalten. Diese zu früh erzwungene Denkaktivität, die Winnicott katalogisierendes Denken nennt, kann zum quälenden Fremdkörper im Inneren und in der Folge zur Selbstzerstörung führen.

Wenn Übergriffe und Anpassungsversagen in späteren Entwicklungsstadien stattfinden, wird das unzulängliche Objekt durch die Überbesetzung des eigenen Intellekts ersetzt, der nun die Aufgabe des Selbst-Halten übernimmt.

Für Aulagnier entsteht die libidinöse Überbesetzung des Denkens, wenn ein Kind zu früh zwischen wahr und falsch unterscheiden muss, weil es entdeckt, dass es vom Objekt angelogen wird. Aulagnier geht von einem Wisstrieb aus, dessen zu frühe Verstärkung zu einer ruhelosen, unstillbaren Suche nach Wahrheit und Erkenntnis führen kann.

Roman Lesmeister, Dipl.-Psych.

ist Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis sowie Dozent, Supervisor und Lehranalytiker (DGPT / DGAP). Er veröffentlicht zur Theoriegeschichte von Psychoanalyse und Analytischer Psychologie, zu Fragen von Selbst, Subjekt und Individuation sowie kulturtheoretischen und klinischen Themen.

Wissen und Glauben in der Psychoanalyse
Überlegungen zum Wahrheitsproblem im psychoanalytischen Diskurs

Die Diskussion um „fake news“ und „alternative Fakten“ hat dazu geführt, dass die Wahrheitsfrage, die sich unter dem Einfluss postmoderner Denkgewohnheiten in einer Diversität von Perspektiven und Diskursen verloren hat, wieder in die öffentlichen und professionellen Denkräume zurückgekehrt ist.

Dabei macht sich als Gegenbewegung ein neokonservativer Wahrheitsdogmatismus bemerkbar, der von der Illusion sicheren Wissens geleitet ist.

Das von Subjektivität und Sprache verfasste Setting der Psychoanalyse ermöglicht keine Gewissheit im Sinne gesicherten empirischen Wissens. Dies betrifft sowohl die innere (psychische) wie die äußere Realität des Subjektes. Trotz aller kommunikativen Brücken bleibt der direkte Zugang zum Fremdpsychischen des Anderen wie die unmittelbare Erfahrung seiner außeranalytischen Lebenswelt verwehrt. Die Rekonstruktion der Wahrheit seiner Geschichte ist auf Erinnerungen angewiesen, die dem fortlaufenden Prozess nachträglicher Transformation unterliegen. Analytische Wahrheit erscheint nur als flüchtige, prozessual veränderliche Größe fassbar. Ist sie am Ende das, worauf man sich jeweils geeinigt hat?

Dem Anspruch des Wissens auf Gewissheit steht die (nichtreligiöse) Funktion des Glaubens gegenüber. Weit entfernt davon, eine Schrumpfform des Wissens abzugeben, begründet dieser ein basales, nichtrationales Vertrauensverhältnis, auf dessen Grundlage der Anspruch des Anderen, jenseits von Wissbarkeit gehört und verstanden zu werden, empfangen und anerkannt werden kann.
Die Ausführungen werden anhand von Vignetten analytischer Praxis veranschaulicht.